Wer braucht schon Zauberworte? (German Edition)
ich ihm ein paar Minuten zuvor noch, zuvorkommend wie ich bin, Wasser nachgegossen, damit er kein leeres gegen ein randvolles Glas getauscht bekommt.
Lucien und Claire sind sich umziehen gegangen. Ich grinse innerlich. Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, mein Glas zu erheben, als alle wieder zurück sind.
Dabei flirte ich ihn mit meinen Augen an, was das Zeug hält. Er soll sich in Sicherheit wiegen und denken, ich hätte seinem Buhlen nachgegeben.
Lucien prostet mir zu. In einem Zug leert er sein Glas. Das läuft ja wie am Schnürchen.
Nachdem ich abgewaschen habe, richte ich einen Teller mit Essen, das ich zurückgehalten habe, her.
„Erwartest du noch einen Gast?“, will Lucien wissen. Ich habe verlangt, dass alle schlafen gehen, damit ich hier in Ruhe aufräumen kann. War irgendwie klar, dass er sich nicht abwimmeln lässt. Damit hatte ich natürlich gerechnet. Das ist alles, Teil meines Plans.
Ich lächle, trete aus der Küche, den Flur entlang und öffne die Haustüre. Dann stelle ich den Teller auf die Fußmatte.
„Das ist ein Keltischer Brauch. Damit ehrt man Odin.“ Keine Ahnung, mein Dad hat das immer gemacht. Er sagte, das holt sich ein armer Mensch, der nichts zu essen hat. Für mich ist es einfach ein schönes Symbol.
Ich zucke mit den Schultern und schließe die Türe. Er hält sie mit der Hand offen.
„Wieso gehen wir nicht ein Stück spazieren, Hope“, schlägt er vor. Ich reibe mir über die Arme. Es soll ihm zeigen, dass es mir draußen viel zu kalt ist.
„Ich kann dich mit meinem Körper wärmen.“ Lucien tritt so nahe an mich heran, dass ich seinen heißen Atem an meiner Schläfe spüren kann. Oh, la la. Der geht aber ran.
Ich lächle und ziehe ihn am Arm hinter mir her – jedoch in die entgegengesetzte Richtung.
„Wo willst du hin? Lass uns doch spazieren gehen“, wehrt er sich.
Mann, komm schon mit, jetzt zier dich nicht so. Da muss ich wohl zu den Waffen einer Frau greifen. Lasziv beiße ich mir in die Unterlippe und lege meinen Zeigefinger an seine Lippen. Ganz zufällig rutscht mir natürlich genau in diesem Moment der Pullover von der Schulter. Ich hab natürlich nachgeholfen und mit den Fingern am Ärmel gezogen.
Sein Blick wandert meine nackte Schulter entlang. Dabei schluckt er laut. Seine kurze Ablenkung nutze ich, um die Treppe hochzusprinten. Glücklicherweise nimmt er die Verfolgung auf und betritt kurz nach mir mein Zimmer.
„Hier ist es ganz schön kalt. Jetzt weiß ich, warum du so oft ins Wohnzimmer gekommen bist. Und ich dachte schon,
ich
wäre der Grund dafür.“ Ich lächle. Um ihn zu ärgern, schreibe ich auf den Block, den ich neben dem Bett aufsammle:
Alpträume.
Dass ihm diese Information Unbehagen bereitet, vermag er nur schwer zu verbergen. Im nächsten Augenblick zuckt er mit dem Kopf und hält sich an der Wand fest. Das Pulver scheint bereits zu wirken. Das ist mein Zeichen. Ich locke ihn mit dem Finger zu mir rüber, was ihn langsam näherkommen lässt.
„Willst du dich nicht hinlegen, Hope? Du bist sicher müde von all der Arbeit.“ Ich tue so, als würde mich sein Vorschlag überraschen, ziehe ihn das letzte Stück zu mir und drücke ihn aufs Bett. Lucien ist mehr als überrumpelt, als ich mich auf ihn setze.
„Hope, warte. Du hast da etwas falsch verstanden.“ Ich weiß, aber wenn du gleich einschläfst, sollst du hier auf der Matratze liegen – nicht irgendwo im Raum, denn ich habe keinen Bock, deinen Körper hier rüber zu schleppen.
Wieder presst er die Augen zu. Er hat deutliche Konzentrationsschwierigkeiten. Schlaf schon ein, Mann. Was dauert denn da so lange?
„Hope, bitte geh runter von mir“, fordert er. Lucien setzt bereits an, mich abzuschütteln. Es hilft nichts. Jetzt muss ich echt tief in die Weibchenkiste greifen. Ich fische nach meinem Block.
Ich will doch nur, dass du mich kurz in den Arm nimmst. Ich habe solche Angst.
Er braucht deutlich länger, um die Nachricht zu lesen. Es sieht so aus, als würde sein Blick immer wieder verschwimmen.
„Natürlich, komm her.“ Seine Arme empfangen mich. Schnell kuschle ich mich an ihn. Seine Atemzüge sind stetig. Lucien säuselt mir ins Ohr: „Bald brauchst du keine Angst mehr zu haben. Ich helfe dir. Schlaf jetzt. Ich wache über dich.“ Ja genau. Du lieferst mich dem Inquisitionskommando aus, die mich höchstwahrscheinlich auf dem Scheiterhaufen verbrennen werden. Das nennst du also Hilfe.
Keine zwei Sekunden später, schnarcht er leise vor sich hin.
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