Wer Liebe verspricht
Donaldson eine Nachricht überbringen. Plötzlich schien man in der ganzen Stadt keine Söldner mehr anwerben zu können. Die Hälfte aller bei Farrowsham im Dienst stehenden Männer war über Nacht verschwunden. Von den anderen hatten sich viele krank gemeldet oder einen Trauerfall in der Familie vorgeschoben, um nicht zu erscheinen. Es sei verblüffend, wie viele Großmütter plötzlich gestorben seien.
Aus all dem wurde eines klar: Raventhorne sorgte dafür, daß sich alle Wege in Sackgassen verwandelten. Olivia zweifelte nicht mehr daran. Er wollte damit den Abbruch verzögern, sie anderweitig in Atem halten und ihre Kräfte schwächen. Olivia ließ sich nicht einschüchtern oder verunsichern. Ruhig dachte sie über ihre Möglichkeit nach. Sie konnte es ablehnen, Mooljee den Kredit so schnell zurückzuzahlen. Aber dann mußte sie ihm das Diadem wiedergeben. Er konnte ihr dann den Kredit sofort kündigen, das Diadem verkaufen und eine sehr viel höhere Summe als die geliehene erzielen. Sie konnte die Krise mit Geld von Farrowsham überbrücken oder sich von Clarence Pennworthys Banken einen Kredit auf das Diadem geben lassen. Die letzten beiden Möglichkeiten verwarf Olivia. Sie wollte den Schwur nicht brechen, Freddies Geld niemals für einen Krieg anzutasten, der mit ihm nichts zu tun hatte. Pennworthy würde ihr sicherlich den Kredit einräumen – vielleicht sogar ohne Hinterlegung des Diadems, aber er war auch Tridents Bankier. Pennworthy schätzte ›den Eurasier‹ ebensowenig wie Mooljee, aber wenn es aufs Ganze ging, standen die eigenen Geschäftsinteressen an erster Stelle – das hatte ihr Arthur Ransome einmal klar und deutlich gesagt. Alle fürchteten Kala Kanta, und Pennworthy würde geschickt bürokratische Dinge vorschieben, um ihr das Geld so spät wie möglich auszuhändigen.
Während Olivia schweigend darüber nachdachte, erinnerte sie sich an eine andere Äußerung von Ransome. Raventhorne, hatte er gesagt, besitzt einen unschätzbaren Vorteil gegenüber den Europäern: Er hat Indien auf seiner Seite. Jetzt erkannte Olivia zum ersten Mal den erstaunlichen Wert dieses Vorteils. Deshalb gelang es Raventhorne mit bewundernswerter Leichtigkeit, sie zu überspielen. Erst sehr viel später im Laufe des Tages erkannte Olivia plötzlich, daß sie etwas außer acht gelassen hatte, und sie rief mit leuchtenden Augen: »Vielleicht hat er Indien auf seiner Seite, aber Amerika noch nicht!«
»Wie bitte?«
Olivia war nicht bewußt, daß sie laut gesprochen hatte, bis Estelle, die das hektische Kommen und Gehen mit wachsender Besorgnis beobachtete, sie mit dieser Frage aus ihren Gedanken riß. »Ich habe mich nur gewundert, daß es mir nicht eher eingefallen ist.«
»Was, Olivia?« Estelle gefiel das geheimnisvolle Lächeln ihrer Cousine immer weniger
»Oh, die Siebte Kavallerie natürlich!«
Estelle starrte sie verständnislos an, aber Olivia befahl bereits Salim, ihre Kutsche vorfahren zu lassen, und griff nach Handtasche und Umschlagtuch. Estelle lief zu ihr und hielt sie am Arm fest. »Olivia, bitte, fordere Jai nicht noch mehr heraus! Du kannst dich nicht mit seinen Kräften messen! Er ist dir weit überlegen!«
Olivia blieb stehen und sah sie lange und nachdenklich an. »Ja, das stimmt. Ich kann mich nicht mit seinen Kräften messen. Das sehe ich jetzt ein. Aber mein Verstand kann sich mit seinem messen. In dieser Hinsicht, meine liebe Estelle, bin ich ihm keineswegs unterlegen.«
*
Wie nicht anders erwartet, erfüllte Lubbock mit größter Freude Olivia alle Bitten, und das nicht nur ohne Zögern, sondern mit Begeisterung. Ja, er hatte von den Schwierigkeiten gehört, die Raventhorne, dieser Hurensohn, Farrowsham bereitete. Aber ja, er werde helfen. Sie solle nur sagen, wie. »Dem Kerl müssen endlich die Hörner gestutzt werden, Ma’am!« Und wenn Hiram Arrowsmith Lubbock, fügte er mit leuchtenden Augen hinzu, dabei behilflich sein könnte, würde es ihm verdammt noch mal ein großes Vergnügen sein, jawohl, das würde es, weiß Gott! Ein Kredit? Lubbock lachte. Das sei ganz bestimmt kein Problem. Jederzeit und jede Summe! Aber das sei alles? Er sah sie enttäuscht an.
»Nein, das ist noch nicht alles, Mr.Lubbock«, erwiderte Olivia. »Da ist noch etwas.«
Er strahlte. »Nur heraus mit der Sprache, Ma’am. Ich würde dem Kerl am liebsten einmal richtig die Fresse polieren …«
Olivia lächelte. »Danke für das Angebot. Es ist wirklich sehr verführerisch. Aber nein, darum geht es
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