Wer liest, kommt weiter
14jähriger Schüler in Einsiedeln an einem sonnigen Frühlingsmorgen ... auf einem Hügel hinter dem Kloster in einem Aufsatz die Umgebung schildern sollte. Noch am selben Abend beschuldigte ihn der Deutschlehrer, die herrlichen Sätze von einem Dichter gestohlen zu haben! Als er leugnete, wurde er mit Tatzen bestraft. Daraufhin nahm er sich vor, Schriftsteller zu werden.
Das aber war mühsam. Jahrelang schickte er Texte an Theater, Zeitungen und Verlage – vergeblich. 1972 ging er nach Berlin, um endlich als Autor zu reüssieren. In dieser Lehrzeit wollte er u.a. lernen, so zu schreiben, daß der Leser weinen muß. Deshalb schrieb er das Kapitel Annas Tod und Begräbnis aus Gottfried Kellers Grünem Heinrich ab. Dieses Manuskript fand seine Freundin Ute, die ihn gerade verlassen wollte, auf seinem Schreibtisch. Sie las es und weinte. Und dann sagte sie: »Du bist zwar ein Riesenarschloch, aber schreiben kannst du!«
1981, da war er 30, erschien dann sein erstes Buch: Die Tessinerin, das von der Literaturkritik zu Recht bejubelt wurde. Aber es war gar nicht sein erstes Buch – er hatte vorher schon andere geschrieben und in den Papierkorb geworfen. Ref 12
Was aber sollen wir lesen, um schreiben zu lernen? Die Antwort ist nicht schwer; denn nahezu alle Bücher und Zeitungen, die wir lesen, sind, wie schon erwähnt, auf einem höheren sprachlichen Niveau geschrieben als dem unseren. Einerseits sind die meisten Autoren und alle Journalisten professionelle, also geübte Schreiber. Andererseits gilt, daß sie vor der Veröffentlichung noch korrigiert und redigiert werden. Das ist keine Schande: Sogar Goethe wurde von Schiller und Schiller wurde von Goethe korrigiert. Heute gibt es leider auch bei Büchern und Zeitungen eher zu wenige Korrekturen vor der Publikation, aber natürlich viel mehr als im Internet.
Wie wichtig das Lesen für das Schreiben ist, betonte auch Werner Herzog in einem Interview mit Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung vom 14. November 2012:
Ich sage meinen Studenten nicht: ›Lest. ‹ Ich sage: ›Lest, lest, lest, lest! Lest!!‹ Wer nicht liest, verliert die Welt. Und wird auch nie im Leben einen großen Film machen.
Diese Regel sollte auch für die Schreibkurse gelten, die seit einigen Jahren in Schulen angeboten werden. Ich nenne nur das Projekt »Schulhausroman« des Zürcher Autors Richard Reich (seit 2004), das Projekt »Klasse Geschichten« der Münchner Autorin Franziska Sperr und die »Schreibakademie Niederösterreich« mit dem Wiener Lyriker Gerhard Ruiss. An allen drei und an ähnlichen Projekten wirken zahlreiche junge Autorinnen und Autoren mit und ergänzen und bereichern so den Deutschunterricht, in dem für vieles zu wenig Zeit bleibt.
Einen andersartigen Wettbewerb organisierte ich im Schuljahr 2007/08 für die Bayerische Akademie der Schönen Künste. Wir schrieben an die 75 Gymnasien in München und in Oberfranken und baten sie um zwei bis drei der besten in der Schule geschriebenen Aufsätze. Wir wollten die Schüler also nicht zu neuen Texten animieren, sondern schon geschriebene Texte prämieren. Von den Aufsätzen, die wir erhielten, wurden die 15 besten in dem Buch Der goldene Fisch. Die besten Schulaufsätze im Herbst 2008 publiziert.
Hier der titelgebende Aufsatz von Luisa Weber, damals 12 Jahre alt, Schülerin einer 6. Klasse des Münchner Wilhelmsgymnasiums. Luisa und ihre Mitschüler sollten in 60 Minuten eine Erzählung oder ein Märchen zu dem Bild Der goldene Fisch schreiben, das Paul Klee 1925 gemalt hat und das heute in der Hamburger Kunsthalle hängt.
Luisa Weber: Der König und der Goldfisch (2008)
In einem fernen, fernen Land lebte einmal ein dicker König. Da er den ganzen Tag aß, wurde er immer dicker. Seine Diener gaben ihm immer ganz besondere Leckereien zu speisen, damit er über dem Essen seine Staatsgeschäfte vergaß und sie allein regieren konnten. Sie gaben ihm beispielsweise gebratene und gezuckerte Wachtelzungen, in Honig geröstete Feldmäuse und, die Leibspeise des Königs, in Holundersirup gegrillte Goldfische.
Eines Tages wollten sie etwas Neues versuchen. Sie traten vor ihn hin und sprachen: »O Herr, heute wollen wir Euch bitten, ein neues Gericht zu versuchen. Ein in Wasser eingelegter Goldfisch. Er ist wahrlich köstlich.« Tatsächlich brachten sie dem König, der dem Vorschlag erfreut zustimmte, ein Gefäß voll Wasser, in dem ein noch lebender Goldfisch schwamm. Schon hob der König ihn zum Mund, doch der Goldfisch
Weitere Kostenlose Bücher