Wer liest, kommt weiter
lernen.
Eine andere Kundin sagte mir ihren Lieblingssatz über das Lesen – Wir lesen, um zu wissen, daß wir nicht allein sind – aus Shadowlands, einem Film über eine späte Liebe des Dichters C.S. Lewis, gespielt von Anthony Hopkins, dem diese Erkenntnis, die von Lewis stammen könnte, in den Mund gelegt wird.
Doch zunächst soll wie bei Horaz vom Nützlichen die Rede sein, von den Zeitungen und den Büchern, die wir lesen, um etwas zu lernen, also von den Sachbüchern. Aber wir lernen eigentlich immer, wenn wir lesen. Dazu noch eine persönliche Erinnerung und einige allgemeine Bemerkungen.
Wie haben wir früher gelernt, und wie lernen die heutigen Schüler und Studenten? Wir haben in den 1950er und 60er Jahren vor allem durch Exzerpieren und Abschreiben gelernt. Denn es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, sich den Inhalt eines Textes anzueignen, als beim Lesen Notizen zu machen, was eine genaue Lektüre voraussetzt.
Wenn wir damals eine Seminararbeit schrieben, gehörte das Abschreiben zu den täglichen Beschäftigungen. Wir lasen in der Bibliothek einen Zeitschriftenaufsatz, fanden eine interessante Passage und schrieben sie ab, wobei wir sie zweimal lasen: im Original und beim Niederschreiben. Zu Hause lasen wir den Text wieder zweimal und schrieben ihn in die erste Fassung und noch einmal in die Endfassung unserer Arbeit. Schließlich hatten wir den Text wenigstens sechsmal gelesen und dreimal geschrieben – und dabei Sprachliches und Inhaltliches gelernt.
Ende der 60er Jahre wurden in den Bibliotheken die ersten Kopierer aufgestellt. Auch wenn es teuer war – man wollte sich Arbeit sparen und kopierte interessante Seiten, ohne sie genau zu lesen. Das tat man erst daheim und schrieb sie das erste Mal ab und dann noch einmal für die Endfassung: insgesamt also viermal Lesen und zweimal Schreiben: sechs Denkvorgänge.
Als dann in den 80er Jahren der Computer die mechanische, aber auch die elektrische Schreibmaschine verdrängte, mußte man den Text nur noch zweimal lesen und einmal schreiben, weil er im Computer gespeichert blieb. Und heute?
Heute kann man ein paar Texte googeln, die zum Thema passen, und sie in das »eigene« Word-Dokument kopieren – und fertig ist die Arbeit. So kann es geschehen, daß ein Schüler ein Referat zur Lyrik des Expressionismus hält und es in der Schule zum ersten Mal richtig liest. Geschrieben hat er es nie, weil er es direkt übernommen hat. Er kann es zwar vortragen, aber er kennt es nicht – und er hat bei der »Anfertigung« seines Referats buchstäblich nichts gelernt. Lernen kann man nämlich, wenn man allein ist, fast nur durch Lesen und Schreiben.
Die dritte Möglichkeit des Lernens, wenn man allein ist, nämlich das Hören einer CD, einer Radiosendung oder das Hören eines Vortrags im Internet, verlangt höchste Konzentration und hat den Nachteil, daß man, anders als beim Lesen, selten etwas wiederholen oder überspringen kann. Trotzdem lohnt es sich immer, gute Sendungen zu hören, vor allem in den so verdienstvollen 2. Programmen.
Leider spielt der Schulfunk kaum mehr eine Rolle. Auch das Schulfernsehen, das in den 60er Jahren aufgebaut wurde, konnte sich nicht durchsetzen: Denn gefilmter Unterricht kann das persönliche Unterrichtsgespräch nicht ersetzen.
Dokumentationen jedoch können, das ist keine Frage, den Unterricht ergänzen und beleben. Leider sind auch Informationssendungen oft nur scheinbar lehrreich. Heinz Bonfadelli und Ulrich Saxer, die beiden renommierten Schweizer Medienpädagogen, kamen in ihrer Untersuchung über Lesen, Fernsehen und Lernen (1986) auf S. 171 zu dem Fazit: Das Dilemma von Informationssendungen mit Unterhaltungscharakter besteht also darin, dass die Sendungen zwar zum Zuschauen motivieren und als interessant empfunden werden, dass die unterhaltenden Elemente aber u. U. von der zu vermittelnden Information eher ablenken und so die Informationsaufnahme behindern.
Vermutlich ist es aber nicht nur das Unterhaltende, was die Aufmerksamkeit ablenkt, sondern auch die bewegten Bilder, die von den Texten ablenken, auf die es vor allem ankommt.
Das gilt auch für viele der heutigen Schulbücher, die wie Bilderbücher wirken, sogar die Sprach- und Lesebücher. Wie soll man zum Beispiel das Gedicht D-Zug München – Frankfurt von Günter Eich aufmerksam lesen, wenn daneben ein großes Foto des Dichters vom Text ablenkt? Selbst bei Geschichts- und Geographie-Büchern wird manchmal übertrieben.
Nun aber ist das
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