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Wer liest, kommt weiter

Wer liest, kommt weiter

Titel: Wer liest, kommt weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Denk
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Taten begleiten.
    Was läßt Haushofer nun seine Dichterkollegen sagen, damit die Handlung beginnt? Was deutet er an? Was verschweigt er? Und der Zuschauer bzw. Leser: Was weiß er (was die Personen auf der Bühne vielleicht nicht wissen), was nicht? Was soll er wahrnehmen? Welche Erwartungen sollen in ihm geweckt werden? Spannung, Furcht, Hoffnung, Mitleid, Bewunderung?
    Der 3. Vers ist der Schlüssel zur ganzen Szene. Ihn muß man genau und laut lesen. Wenn er gespielt wird, hört und sieht man gleich, worum es geht: Als Horaz den jungen Diktator Augustus hochleben läßt, antwortet Catull, schon betrunken: Ick [ ! ] kanns nicht ändern, daß er lebt – Sein Wohl –
    Horaz unterbricht ihn, bevor er »ist mir total egal« o.ä. sagen kann. Der Leser und Zuschauer spürt, wie Catull »im Wein die Wahrheit« sagt. Nüchtern würde er wohl den Mund halten.
    Und Horaz reagiert, wie man auch 1939 auf Majestätsbeleidigungen reagierte: mit Angst und Ausweichmanövern: Mein bester Wein! Und dann erst: Man hätt es hören können!
    Schon in der ersten Minute des Dramas werden also drei Themen angesprochen, die in einer Diktatur akut sind: der Personenkult, der ohnmächtige Zorn der Untertanen und die Angst vor Denunzianten. Ein vergleichbarer Dramenanfang aus der NS-Zeit ist nicht bekannt geworden.
    Imre Kertész, geb. am 9. November 1929 in Budapest, wurde als 14jähriger im Sommer 1944 bei der von Eichmann organisierten Judendeportation nach Auschwitz verschleppt, wo die meisten nach der Selektion, oft durch Dr. Mengele, in den Gaskammern ermordet wurden. Er wurde als »arbeitsfähig« nach Buchenwald weitertransportiert und am 11. April 1945 von den Amerikanern befreit. Nach seiner Rückkehr lebte er als Journalist, Verfasser von Boulevardstücken und Übersetzer aus dem Deutschen, u.a. von Tankred Dorst. Sein Roman eines Schicksallosen (1975), an dem er mehr als zehn Jahre gearbeitet hatte, fand zunächst nur wenig Beachtung. Erst die zweite Übersetzung (1996) machte ihn in Deutschland bekannt. Hier ein Höhepunkt des Romans auf der Rampe in Auschwitz:
Die Untersuchung selbst kann im übrigen nicht mehr als etwa zwei, drei Sekunden (annähernd) gedauert haben. Gerade war vor mir noch Moskovics an die Reihe gekommen – ihn hatte der Arzt sofort, mit gestrecktem Zeigefinger, in die andere Richtung gewiesen. Ich hörte noch, wie Moskovics zu erklären versuchte: »Arbeiten... sechzehn . . .« – aber von irgendwoher packte ihn eine Hand, und schon hatte ich seinen Platz eingenommen. Mich, so sah ich, betrachtete der Arzt schon gründlicher, mit einem abwägenden, ernsten und aufmerksamen Blick. Ich habe mich dann auch aufgerichtet, um ihm meinen Brustkasten zu zeigen, und – so erinnere ich – sogar etwas lächeln müssen, als ich so nach Moskovics drankam. Zu dem Arzt hatte ich auch gleich Vertrauen, weil er von angenehmer Erscheinung war und ein sympathisches langes, glattrasiertes Gesicht hatte, eher schmale Lippen und blaue oder graue, auf jeden Fall helle, gütig blickende Augen. Ich konnte ihn mir gut anschauen, während er, seine behandschuhte Hand beidseits auf meine Wangen stützend, mir mit dem Daumen die Haut unter den Augen ein bißchen herunterzog – geradeso, mit dem gleichen Handgriff, wie ich es von den Ärzten zu Hause kannte. Gleichzeitig fragte er mich mit einer leisen, aber klaren Stimme, die den gebildeten Menschen verriet: »Wie alt bist du?«- aber irgendwie nur so nebenbei. Ich sagte: »Sechzehn.«
    Von solchen Schrecken blieben wir verschont. Doch es konnte auch eine Jugend in den 50er Jahren schwierig sein, gerade weil alles einfacher schien. Man lese zum Beispiel Vorläufige Ankunft (2010) von Albert von Schirnding. Und auch heute haben es die Jugendlichen zwar viel einfacher, aber nicht einfach. Ref 45
    Das ist die immer neue Chance der Literatur. Sie kann und muß auf die immer neuen Probleme der jeweiligen Gegenwart reagieren. Daniel Kehlmann zum Beispiel führt uns in seinem Roman in neun Geschichten mit dem wuchtigen Titel Ruhm (2009) in die Welt der elektronischen Kommunikation.
    In der siebten Geschichte, Ein Beitrag zur Debatte, kommt ein internetsüchtiger Angestellter einer Mobilfunkgesellschaft namens Mollwitz zu Wort. Hier der Anfang im Blog-Slang:
Da muß ich erst ausholen. Sorry und: weiß ja, daß lithuania23 und icu_lop sich wieder über die Länge von diesem Posting lustig machen werden, und natürlich lordoftheflakes, der Troll, wie neulich bei seinem Flaming im

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