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Wer liest, kommt weiter

Wer liest, kommt weiter

Titel: Wer liest, kommt weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Denk
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wünschte mir, die Menschen würden mehr lesen, auf die Dichter hören und ihr eigenes kleines Leben einordnen in das große Ganze – Bücher, die Geschichten von Menschen und ihren Schicksalen erzählen, helfen dabei.
    Vielleicht könnte man so sagen: Auch wenn es keine Sicherheiten gibt, so suchen wir doch immer wieder Orientierung. Und dabei können uns Bücher helfen. Das gilt für die Bücher, in denen von Menschen erzählt wird, also für die Literatur. Das gilt erst recht von den Büchern, die auch deshalb geschrieben wurden, um Orientierung zu geben: Dazu gehören alle religiösen Bücher, fast alle philosophischen Bücher, viele Tagebücher, zum Beispiel die von Max Frisch, aber auch Bildungsromane wie Wilhelm Meister oder Der grüne Heinrich und Erzählungen wie Die judenbuche.
    Schließlich bieten auch alle Sachbücher Orientierung in den verschiedensten Bereichen des Lebens. Im Rahmen dieses Buches über das Lesen können aber nur wenige Bereiche erwähnt werden, die für alle Menschen von Bedeutung sind.
    Beginnen wir mit den beiden physikalischen Gegebenheiten Ort und Zeit, die für unseren Lebensweg von fundamentaler Bedeutung sind. Ref 50

    Die Bedeutung des Ortes und der Nähe
IN DEUTSCHLAND
Bürgern der DDR, die das gesetzliche Rentenalter
erreicht haben..., kann... die Ausreise aus der DDR
nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin
zum Besuch ihrer Verwandten genehmigt werden.
(Anordnung über Regelungen im Reiseverkehr von
Bürgern der DDR, 14. Juni 1973)
 
Nur noch achtzehn Jahre ...
(brief, Altenburg/Sachsen 1979)
Das grab herbeisehnen,
um am tisch des freundes
eine tasse tee trinken zu dürfen
    Dieses Gedicht Reiner Kunzes, zu finden in dem Band auf eigene hoffnung (1981), ist ein eindrückliches Zeugnis für die schicksalhafte Bedeutung des Ortes, an dem wir leben, und des Staats, in den wir hineingeboren wurden. Wenn man dies bedenkt, versteht man, wie viele Menschen ihren Wohnort wechseln wollen, wenn und sobald sie können, und was es bedeutet, wenn andere gegen ihren Willen ihre Heimat verlassen und fliehen müssen. Die Literatur ist voll von solchen Schicksalen.
    Die meisten in den westlichen Ländern lebenden Menschen haben weder das eine noch das andere Problem. Unser Problem ist eher, daß wir den Ort, an dem wir leben, zu wenig zu schätzen wissen und daß der Ortswechsel für uns in zweifacher Hinsicht unendlich viel leichter ist als früher.
    Zunächst sind die Transportmittel in den vergangenen 100 Jahren derartig perfekt, schnell und billig geworden, daß wir versucht sind, zu oft unterwegs zu sein. Ref 51
    Davor hat schon Seneca im 28. Brief an Lucilius gleich zu Beginn gewarnt:
    Du meinst, dir allein sei es so ergangen, und du wunderst dich darüber, als sei es etwas unerhört Neues, daß es dir durch deine Auslandsreisen und den ständigen Ortswechsel nicht gelang, Trübsal und Schwermut zu vertreiben? Wechseln mußt du deine Lebensanschauung [animum = Sinn], nicht Gegend und Klima.
    Was hätte Seneca erst zu den ständigen Ortswechseln gesagt, denen wir uns aussetzen? Noch mehr hätte er sich über unser zweites Ortsproblem gewundert: die Ubiquität, das Überall- und Nirgends-Sein, das die visuellen Medien scheinbar möglich machen. Man denke nur an Webseiten wie »Second Life« (seit 2003), auf der irreale Avatare irreal miteinander kommunizieren, oder an Chatroulette (seit 2009), wo Zehntausende weltweit mit einem Zufallspartner per Telefon, Tastatur und Kamera »chatten« können, bis einer oder eine von beiden den Ausknopf drückt und sich weiterverbinden läßt. Und wie wirkt es sich aus, wenn Menschen auf ihre Handys starrend oder mit Kopfhörern unterwegs sind und ihre Umgebung vergessen?
    Eines ist sicher: Der Mensch ist, anders als viele Fische oder Vögel, nicht für häufige Ortswechsel prädestiniert. Und als dialogisches Lebewesen braucht er, um ganz Mensch zu sein, Mitmenschen, mit denen er sich wirklich austauscht. Dies aber gelingt eigentlich nur in der unmittelbaren Begegnung, also in der Nähe (und anders als bei Handy-Kontakten immer gratis).
    Deshalb hatte Goethe ganz recht mit seinem Gedicht
Erinnerung (1787)
 
Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.
    Wie aber können wir lernen, das Glück zu ergreifen? Das ist immer auch eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Ref 52

    Die Bedeutung der Zeit
    Aber nicht nur unser »Ortsgefühl« wird strapaziert, auch

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