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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Schluss jetzt, die Kette gehört mir, Omi hätte bestimmt gewollt, dass ich sie bekomme, ich war schließlich ihre Lieblingsenkelin, mich hat sie am meisten geliebt.
    Das war wie ein Schlag ins Gesicht, einen Moment lang wurde mir schwarz vor den Augen vor Zorn. Dich?, sagte ich und meine Arme fielen herab und blieben kraftlos hängen. Dich?
    Ja, natürlich, sagte sie mit hochgerecktem Kinn und einer Stimme, bei der es mir eiskalt wurde, hast du das etwa nicht gemerkt? Das hat doch jeder gewusst.
    Und mich?, fragte ich und wusste sofort, dass ich das besser nicht gefragt hätte.
    Marie schaute mich an, wie man eine Spinne anschaut, irgendein widerliches Insekt, und sagte nur, dich?
    Das war’s, damit war der Streit zu Ende, mein Widerstand war gebrochen, meine Schultern sanken nach vorn, das Blut strömte aus meinem Kopf in die Füße und machte sie schwer, ich fühlte mich wie gelähmt.
    Später nahm ich, weil ich nicht haben konnte, was ich wollte, Omis Gebetbuch und ihren Rosenkranz, den ich noch immer besitze und den ich nicht anschauen kann, ohne die alte Enttäuschung und den alten Zorn zu spüren, und ich nahm auch Omis dicken schwarzen Schal, der uns beide so oft eingehüllt hatte und wie Seide glänzte, aber nicht aus Seide war, sondern aus Chenillegarn, und Marie lief von diesem Tag an mit einem Goldkettchen mit Kreuz herum.
    Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?, fragte unsere Mutter, und Marie antwortete, nein, überhaupt nicht, Kreuze sind cool.
    Damals, nach Omis Tod, fing es an, ich war wie besessen, ich war so verletzt, dass ich in den Monaten danach an nichts anderes mehr denken konnte als an den Verrat, denn so fühlte ich mich, nicht nur zurückgesetzt, sondern verraten, ob von Marie oder von Omi, wusste ich nicht, ich glaube, es war mir auch egal, ich wurde beherrscht von dem Gefühl, verraten worden zu sein. An meiner Besessenheit änderte sich auch nichts, als ich von der Grundschule ins Gymnasium übertrat und nun jeden Tag nach Pasing fuhr, während Marie im selben Herbst vom Gymnasium auf die Realschule wechselte, weil sie sitzengeblieben war. Ich schaffte es irgendwie, nach außen hin normal zu erscheinen und alles zu tun, was man von mir erwartete, innerlich wurde ich jedoch vom Groll aufgefressen, einem Groll, der sich anfangs auch gegen Omi richtete, im Lauf der Zeit aber nur noch gegen Marie, als hätte meine Trauer um Omis Tod endlich ein Ventil gefunden. Meine Trauer schlug allmählich in Hass um, und weil es mir zu sehr wehtat, an Omi zu denken, an Omis Tod, träumte ich vom Tod meiner Schwester. Monatelang beherrschte mich der Gedanke, dass Omi es nicht verdient hatte zu sterben, Marie aber schon.
    Das ist es, was ich mir viel später gedacht habe, vielleicht nur, um nachträglich zu begründen, was ich getan hatte, denn zu rechtfertigen war es nicht, das habe ich, glaube ich, von Anfang an gewusst, aber ich war ja erst zehn Jahre alt. Ist das eine Entschuldigung? Obwohl ich dann, als ich es schließlich tat, schon elf war, es hat sehr lange gedauert, bis ich mich endlich dazu aufraffte. Den Ausschlag gab am Schluss die beiläufige, gleichgültige Art, mit der Marie irgendwann beim Abendessen erwähnte, Omis Kettchen mit dem Kreuz sei weg. Keine Ahnung, wann und wo ich es verloren habe, sagte sie schulterzuckend, es war plötzlich nicht mehr da. Sie hat mich noch nicht mal angeschaut, als sie das sagte, es war ihr offenbar egal, wie ich auf den Verlust reagieren würde, vielleicht hatte sie gar nicht daran gedacht, dass es mich treffen könnte.
    Wie ich dann auf die Idee gekommen bin, weiß ich nicht mehr, möglich, dass ich so etwas in einem der Bücher gelesen hatte, die Marie während ihrer esoterischen Phase aus der Bücherei angeschleppt hatte, vielleicht auch in einem anderen Buch, ich las ja wahllos alles, was mir in die Finger kam, und war schon mit acht, neun Jahren eine der eifrigsten Leserinnen der Pfarrbücherei, der Stadtbücherei, der Bücherregale aller Mitschülerinnen, die bereit waren, mir Bücher zu leihen. In irgendeinem Buch muss so etwas gestanden haben, von allein wäre ich bestimmt nicht darauf gekommen.
    Ich hatte die Aktion gut vorbereitet, ich hatte eine Packung neuer Filzstifte angeschafft, mit Glitzerfarben, und einen dicken, gelben Bastelkarton, bevor ich mich an die Arbeit machte. Ich schnitt ein großes Quadrat aus dem Karton und malte darauf eine Puppe. Ich sehe es noch genau vor mir, wie ich da saß, im unteren Zimmer, an dem kleinen

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