Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
Warm Springs, Georgia, an einer Gehirnblutung gestorben war. Die First Lady flog sofort nach Georgia. Als sie am Cottage eintraf, setzten sie zwei von Franklins Cousinen – Laura Delano und Margaret Suckley, die mit ihm Urlaub gemacht hatten – aufs Sofa im Arbeitszimmer und erzählten Eleanor die ganze Geschichte. Franklin war gut gelaunt gewesen und hatte mit seinem Besuch gescherzt, während er für ein Porträt Modell saß.
Auf einmal sagte er: »Ich hab schreckliche Schmerzen«, und griff sich hastig an den Hinterkopf. Dann brach er zusammen und erlangte das Bewusstsein nicht wieder.
Als Eleanor nach dem Porträt fragte, gaben die beiden zu, dass es im Auftrag von Lucy Mercer gemalt worden war, der Frau, mit der Franklin dreißig Jahre zuvor eine Affäre gehabt hatte. Die inzwischen verwitwete Lucy hatte das Gemälde ihrer Tochter schenken wollen. Lucy war in den letzten Tagen ebenfalls bei Franklin zu Gast gewesen und war auch im Zimmer, als er starb. Eleanor fragte ganz ruhig, ob Franklin und Lucy sich auch noch vor diesem letzten Besuch gesehen hatten, und Laura gab zu, dass Lucy mehrmals in Warm Springs zu Gast gewesen war. Wenn Eleanor unterwegs war, kam Lucy oft zu den Dinnerpartys im Weißen Haus. Es war ein offenes Geheimnis, nur Eleanor hatte keine Ahnung. Und was noch schlimmer war – sie erfuhr, dass Anna, ihre eigene Tochter, viele dieser Rendezvous arrangiert hatte.
»Wow«, murmelte ich. »Das ist ja wie beim Denver-Clan .«
Doch Alexis Carrington wäre enttäuscht gewesen von Eleanors Reaktion. Sie blieb ein paar Augenblicke ganz still sitzen und verdaute die Informationen. Dann stand sie auf, ging ins Schlafzimmer, in dem die Leiche ihres Mannes lag, und schloss die Tür. Als sie ein paar Minuten später wieder herauskam, war sie völlig gefasst und zeigte immer noch keine Tränen. Ich nehme an, dass sie aufgewühlt war, aber nachdem sie sich ein Leben lang darin geübt hatte, wusste sie ihre Gefühle zu beherrschen, wenn es nötig war. Sie äußerte sich nie öffentlich zu den Eskapaden ihres Mannes, aber in einer ihrer Autobiografien spielte sie darauf an.
»Männer und Frauen, die jahrelang zusammenleben, lernen die Fehler des anderen gründlich kennen«, schrieb sie. »Vielleicht wäre er mit einer völlig unkritischen Frau glücklicher gewesen. Aber zu solcher Kritiklosigkeit war ich nicht fähig, und deswegen musste er sie sich bei anderen Leuten holen.«
Als ich am nächsten Morgen ins Bestattungsinstitut kam, klingelte das Telefon wie verrückt, und Terry saß in seinem Büro und nahm Anrufe entgegen.
Lucas gähnte. »Wir hatten gestern drei Todesfälle.« Er versuchte wenig erfolgreich, sich auf dem Zweisitzer im Esszimmer auszustrecken.
»Hast du die alle alleine abgeholt?«
»Das ist doch noch gar nichts.« Lucas nahm die Brille ab und rieb sich die Augen, und dabei fiel mir auf, dass er eigentlich ganz schön süß war. »Einmal hatten wir siebzehn Tote an einem Wochenende. Wir mussten sie in drei Reihen in der Garage verstauen.«
Wenn Terry zu viele Aufträge bekam, ließ er manchmal andere Bestattungsunternehmer für sich arbeiten. So kam es auch, dass ich mit Sean, einem Leichenbestatter aus Columbus, in dem Zimmer stand, in dem ich gleich meine erste Einbalsamierung miterleben sollte. Ich war noch nervöser als gestern, als ich wusste, dass ich Menschenknochen zu sehen bekommen würde. Knochen waren immerhin anonym, da wusste man nicht, wem die mal gehört hatten. Aber es hatte etwas Ursprüngliches, fast schon Satanisches, die Lebenssäfte aus einem Menschen herauszulassen. Daher war ich erleichtert, als Sean sich als menschliche Ausgabe von Pu der Bär herausstellte – blond, rund und sanft (aber glücklicherweise hatte er eine Hose an).
Auf dem Stahltisch lag der nackte Körper einer Frau über siebzig. Ihre Haut hatte einen gelblichen Ton angenommen, und ihre knorrigen gelblich-grünen Nägel ragten ein gutes Stück über ihre Zehenspitzen hinaus.
»Die Mennoniten sind ein zähes Völkchen«, sagte Sean, und ich hörte einen schwachen irischen Akzent in seiner Stimme. »Mit Pediküre halten die sich nicht viel auf. Wir nennen sie hier immer ›die schlichten Leute‹, weil sie sich so schlicht kleiden und auf dem Feld arbeiten.«
Er zog ihr ein Augenlid hoch und legte ihr etwas auf den Augapfel, das aussah wie eine stachelige Kontaktlinse.
»Damit ihre Augen zubleiben«, erklärte er. »Wenn sich ihre Lider öffnen wollen, bleiben sie an den kleinen Stacheln
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