Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
ihre Großmutter bei ihrer Hochzeit getragen hatten. Ihren Schleier befestigte sie mit einem Diamantdiadem, das ihrer Mutter gehört hatte. Sara, die noch nie viel Sinn fürs Subtile gehabt hatte, gab Eleanor eine breite Perlenkette mit eingearbeiteten Diamanten, die anlag wie ein Hundehalsband. Sie war von Tiffany und hatte 4000 Dollar gekostet, aber die Symbolik war natürlich unbezahlbar.
Eleanor war erst zwanzig und Franklin dreiundzwanzig. Wenn man seinen Cousin heiratet, hat man natürlich den Vorteil, dass man den Nachnamen nicht ändern muss. Nach der Zeremonie witzelte der Präsident: »Tja, Franklin, ist schon toll, wenn der Name in der Familie bleibt.«
Eleanors Mentorin von der Allenswood Academy, Madame Souvestre, kämpfte mit einer Krebserkrankung und konnte nicht zur Hochzeit kommen. Doch sie schickte ein Telegramm, das nur ein Wort enthielt: GLÜCK . Zwei Wochen später war sie tot.
Matt hatte die Frage immer noch nicht beantwortet, und am Tisch machte sich nervöse Anspannung breit. Ihm war die Sache sichtlich unbehaglich.
»Na ja, es ist eben bloß …« Bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte, erschien der nächste Kellner mit Salat für alle, und plötzlich vertieften sich wieder alle in ihren Smalltalk. Matt atmete erleichtert aus. Es ist bloß was? Die ganze Zeit hatte ich angestrengt hin und her überlegt, ob Matt wohl der Richtige für mich war, aber dabei hatte ich den Gedanken unterdrückt, dass er auch Zweifel an mir haben könnte. »Proud Mary«war zu Ende, und die Band stimmte »The Way You Look Tonight« an, eines meiner Lieblingslieder.
Matt stupste mich an. »Komm, lass uns tanzen.«
Auf der Rückfahrt zu unserer Pension war das Auto voll mit betrunkenen Iren, die studentische Rauf- und Sauflieder grölten. Matts Exfreundin saß auch im Auto und schnatterte unablässig, aber Matt und ich schwiegen.
Wir stritten uns so gut wie nie, aber als wir in unserem Zimmer waren, regte er sich erst darüber auf, dass ich zu viel von seiner Salzwasserlösung benutzt hatte, und ich schnauzte ihn an, weil er im Bett mit seinem BlackBerry herumspielte. Bevor ich auch nur mit dem Zähneputzen fertig war, griff er nach dem Schalter seiner Nachttischlampe und knipste gereizt das Licht aus.
Unsere Stimmung war immer noch gedrückt, als er mir am nächsten Morgen einen Abschiedskuss gab, weil er eine frühe Fähre nehmen musste. Zwei Stunden später schnallte ich mich zum zweiten Mal an diesem Wochenende in einer winzigen Propellermaschine an. Als wir abhoben, dachte ich über die lange Pause nach, die Matt nach dieser Frage gemacht hatte. Wollt ihr zwei heiraten? Der betrunkene Ire hatte mir eine Vorlage geliefert, und ich hätte die Chance nutzen müssen. Vielleicht nicht unbedingt, während der Salat aufgetragen wurde, aber später im Hotelzimmer. Ich hätte keine bessere Gelegenheit finden können, um mich meiner Angst vor dem Hochzeitsgespräch zu stellen. Das war die beängstigende Aufgabe, die ich gestern in Angriff hätte nehmen müssen, nicht der Quickie in der Brautsuite. Aber ich hatte zu viel Angst vor dem, was Matt mir sagen würde. Ich hatte Angst vor dieser Pause und was sie bedeuten könnte. Auf einmal fehlte er mir schrecklich. Ich sah aus dem Fenster auf die Insel, bis wir so weit weg waren, dass sie überhaupt nicht mehr bezaubernd aussah, sondern nur noch ein brauner Klumpen im Meer war, hässlich und nicht mehr wiederzuerkennen.
6. K APITEL
Manchmal sieht man sich einer Situation
gegenüber, von der man im ersten Moment
glaubt, dass sie einfach unmöglich zu
bewältigen ist und einen ganz schrecklich
quälen wird. Aber sobald man sich ihr gestellt
und sie bewältigt hat, merkt man, dass man
sich hinterher freier fühlt denn je … Das hat
etwas sehr Ermutigendes. Mit jedem Erlebnis,
bei dem man ganz bewusst einer Angst ins
Auge geblickt hat, wachsen Kraft, Mut und
Selbstvertrauen. Und man kann sich selbst
sagen: »Ich habe diese grauenvolle Situation
überstanden. Egal, was als Nächstes kommt,
das werde ich genauso schaffen.«
Eleanor Roosevelt
A n meiner Abneigung gegen das Fliegen hatte sich auch nach dem Propellermaschinen-Ausflug nach Nantucket Island nichts geändert. Als unser kleines Flugzeug wieder landete, wusste ich, dass ich selbst fliegen lernen musste. Solange ich einfach nur Passagier war, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich mich meiner Angst komplett stellte. Ich musste auf dem Pilotensessel sitzen und ausprobieren, wie es sich anfühlte, für mein
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