Wer Schuld War
vergesslich ist, und dass
diese Eigenschaften für jemanden, der so organisiert ist wie Manuel, ein Problem sein müssen.
Sie ist auch egozentrisch.
Wozu brauchst du eigentlich einen Mann? Nur damit jemand da ist, wenn du nach Hause kommst?
Sie will eine enge Beziehung, aber auch wieder nicht zueng. Sie will abends nach Hause kommen und sich direkt ins Schlafzimmer vor den Fernseher begeben. Tatsächlich ist sie nicht
immer nett genug gewesen, manchmal sogar das Gegenteil davon, und nun tut ihr jedes böse Wort, jede unangemessen ironische
Bemerkung wahnsinnig leid, furchtbar, tränentreibend leid, und sie würde am liebsten alles davon zurücknehmen, wenn Manuel
ihr nur diese eine Chance geben würde.
Die Katzen streichen ihr um die Beine, keineswegs satt, und Barbara kniet sich hin, legt die Arme um sie und vergräbt ihre
Nase in ihrem Fell, hört das tiefe Schnurren direkt neben ihren Ohren, ein warmes, sinnliches, beruhigendes Geräusch, und
öffnet ihnen zum Dank eine Dose Thunfisch, worauf sich beide stürzen, als wäre das seit Wochen ihre erste Mahlzeit. Während
Barbara darauf achtet, dass Mops Bär nichts wegfrisst, denn das tut er, sobald man nicht aufpasst, woraus man schließen kann,
dass Katzen auch nicht besser sind als Menschen. Auf diese Erkenntnis hin schenkt sie sich ein Glas Rotwein ein und raucht
weiter, die neunte oder zehnte an diesem Tag, ab einer bestimmten Menge kann man genauso gut aufhören zu zählen.
Stattdessen wandern ihre Gedanken ziellos herum, verweilen mal hier, mal da, träge geworden durch den Alkohol, und landen
schließlich wieder dort, wo sie sich in aller Ruhe im Kreis drehen können, also an welcher Art Krebs sie vermutlich verenden
wird, Niere, Blase, Lunge oder Magen, warum Manuel sie nicht mehr liebt, und ob er sie eines Tages wieder lieben wird, oder
ob das unmöglich ist, ob Liebe sich entfernen und wieder einstellen kann so wie Ebbe und Flut, oder ob sie sich zwangsläufig
und unwiderruflich nach mehr oder weniger langer Zeit erschöpft, ob sie ihrer Natur nach endlich ist, dazu bestimmt, erst
zuwachsen, dann zu erodieren, ob jede Liebe irgendwann alt und gebrechlich wird, an Spannkraft und Geschmeidigkeit verliert.
Wenn das so wäre, wären ihre Charakterfehler nicht der ausschlaggebende Grund für ihre Entfremdung, überlegt sie nicht zum
ersten Mal, und auch diesmal bringen diese Überlegungen nichts. Aber sie kann sie trotzdem nicht abstellen, kniet sich stattdessen
hinein, denn etwas an dieser bevorstehenden Trennung muss aus irgendwelchen Gründen immer wieder und wieder aus allen Richtungen
beleuchtet werden. Zum Beispiel der Verdacht, dass Manuels berufliche Krise gar nichts mit seinem Verhalten zu tun hat, dass
das alles nur vorgeschobene Anlässe sind, und der echte Grund ist, dass ihm Barbara nicht mehr gefällt. Was wiederum die Frage
aufwirft, weshalb ausgerechnet diese Mutmaßung am schwersten auszuhalten ist.
Barbara raucht und betrachtet sich in ihrem Taschenspiegel. Manuel hat sich freundlicherweise nie über ihr Aussehen beschwert,
ihr allerdings auch selten Komplimente gemacht, und wenn doch, war es eher von der Sorte
Heute siehst du ja richtig süß aus
, deren überraschter Unterton immer implizierte, dass dieses Heute eher erfreulicher Ausnahmezustand als angenehme Regel war.
Und schon ist sie wieder beim Drama ihres Lebens angelangt, der Tatsache, dass sie in jeder Beziehung immer nur so tut als
ob. Als ob sie hübsch wäre, als ob sie kompetent wäre, als ob sie stark wäre.
Sie drückt die Zigarette aus, leert den Aschenbecher in den Müll und wedelt mit der Balkontür hin und her, um den Luftaustausch
zu beschleunigen. Schon wieder hat sie sich eines gebrochenen Versprechens schuldig gemacht, und natürlich wird Manuel den
Rauch später trotzdem riechen. Seit seiner Abstinenz ist seine Nase so unglaublich fein, dass ihn jeder Hundehaufen im Umkreis
vonzehn Metern auf die Palme bringt, und er sich mittlerweile schon aufregt, wenn jemand im Lokal drei Tische weiter eine Kohlsuppe
bestellt.
Draußen ist es mild für die Jahreszeit, aber Barbara fröstelt trotzdem, würde am liebsten die Heizung anstellen, lässt es
aber bleiben, sieht auf die Uhr, die halb zehn zeigt. Keine Ausrede dafür, dass sie nun schon wieder versucht, Manuel zu erreichen,
der sich von ihr nicht erreichen lassen will, und schon hat sich der Alkohol verflüchtigt und einem umfassenden Stimmungstief
Platz
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