Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
haben und hat sie nicht wieder hineingelegt. Vielleicht war's sogar Viktoria … Frauen suchen immer Scheren, sie haben immer irgend etwas damit zu tun.
Viktoria. Er starrte auf die Insel. Sie lag vor ihm im Sonnenglast, goldgelb und grün betupft, wie gerade erschaffen, und um sie herum Himmel und Meer, wie Eltern, die wohlgefällig ihr Kind betrachten.
Meine Insel, dachte Bäcker. Du gehörst mir. Mir allein. Du bist mein Land. Ich werde auf dir bleiben und eines Tages vertrocknen. Dich habe ich eingetauscht gegen Viktoria und die Kinder. Das ist ein Grund, dich zu hassen und zu lieben.
»Du hast noch keinen Namen, Insel –« , sagte Bäcker laut. »Aber wir werden nun zusammenbleiben müssen, und deshalb sollst du einen Namen haben. Ich muß wissen, wie ich dich anreden muß, denn es flucht sich leichter, wenn man jemanden beim Namen nennen kann.«
Er schöpfte mit der Konservendose Wasser aus einer flach anrollenden Woge, schwang sich durch die See zurück ans Ufer und blieb im Sand stehen, den rechten Fuß noch umspült, noch im Meer stehend, eine Handbreit vom Trockenen entfernt.
Langsam ließ er das Wasser des Meeres aus der Konservenbüchse auf den Strand laufen, und es war ihm in diesem Augenblick sehr feierlich zumute. Die Erinnerung an Viktoria und die Kinder zerwühlte sein Herz, und seine Augen brannten, und es war nicht nur das Salzwasser und die weißliche Sonne.
»Ich taufe dich, Insel –«, sagte er, »– und ich taufe dich auf den Namen, der mir am teuersten ist auf der ganzen Welt: Du sollt VIKTORIA-EILAND heißen!«
Er schüttete die Konservendose ganz aus und warf sie dann ins Meer. »Und das ist für dich!« schrie er. »Wir werden ewig Feinde bleiben!«
An diesem Abend fing er seinen bisher größten Fisch. Ein silbern schillerndes Exemplar von fast einem Meter Länge. Als er ihn mit seinem langen, spitzen Bambusspeer aus dem Meer stach und Mühe hatte, den schweren, zappelnden Fisch an Land zu bringen, kam es ihm vor, als habe er zum erstenmal gemordet. Er wartete darauf, daß der Fisch schreien würde, aber er starb stumm, und das war gut so. Er hätte ein Schreien nicht ertragen. Mit größter Überwindung schlitzte er den Fisch mit dem Beil auf und warf die Eingeweide zurück ins Meer.
»Ich töte, Vogel«, sagte er zu dem Albatros, der ihm mit klugen Augen zusah und mit den Flügeln schlug, als Bäcker den Fisch aufschnitt. »Ich töte, um zu leben. Siehst du, es fängt schon wieder an. Das Leben normalisiert sich. Man bringt den Schwächeren um, um nicht selbst umgebracht zu werden. Irgend etwas hat Gott bei der Schöpfung falsch gemacht.«
Er briet den Fisch und war zufrieden.
Wenn er alles zusammenzählte, fehlte ihm nichts, um eine Zivilisation zu beginnen: ein Dach, ein Stapel Holz, ein Feuerzeug, zwei Päckchen Streichhölzer, ein Hammer, ein Paket Nägel, ein Schraubenzieher, ein paar Werkzeuge, eine Menge Plastikbeutel, ein Beil und zwei Hände. Das war schon verdammt viel. Feuer, Wasser und ein Gehirn – damit begann der Mensch.
Und mit noch etwas … Werner Bäcker holte es am nächsten Tag nach.
Er fertige seine erste richtige Waffe an.
Bogen und Pfeile aus Bambus.
Der Fortschritt war auch auf Viktoria-Eiland nicht mehr aufzuhalten.
VII
Nach zwölf Wochen trat Werner Bäcker zum erstenmal mit seinem gebrochenen Bein auf.
Es war ein wichtiges Datum, auf das er sich gewissenhaft vorbereitet hatte. Von dem Tage an, da ihn das Meer hier an Land gespien hatte, führte er einen genauen Kalender. Der Tag des Schiffsuntergangs stand fest. Wie lange er ohnmächtig auf der Insel gelegen hatte, oder wie lange er in der Rettungsinsel auf See getrieben war, wußte er nicht, aber er gab sich zwei Tage Vergessen – das erschien ihm reichlich – und rechnete von da an.
»Zwei Tage weniger in einem neuen Leben –«, sagte er zu dem Albatros, »vielleicht auch drei – was macht das aus? Wieviel Tage lebt ein Mensch in seinem Leben sinnlos, und er zählt sie alle mit. Vergessen wir also diese zwei, drei Tage. Wir holen sie auf durch intensiveres Leben.«
Aus einem gespaltenen Baumstück, das er mit seinem Beil so glatt hieb, wie es möglich war, machte er einen Dauerkalender, ein ganz primitives Tagezählen, und malte für jeden begonnenen Tag mit dem Bleistift einen Strich. Danach war jetzt Ende Juli, nach der Zeitrechnung von Viktoria-Eiland. Wenn sechs Tage abgestrichen waren, zog er einen Strich quer über die Tage, das hieß Sonntag, der siebte Tag, Ende einer
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