Wer viel fragt
Ich habe ihn nicht aus dem Haus kommen sehen.
Vielleicht hat er mich vor dem Erfrieren gerettet. Ich kurbelte das
Fenster runter, und er sagte zu mir - einfach so: »Wenn Sie auf mich
warten, können Sie genausogut ins Warme kommen und eine Tasse Kaffee
trinken.«
Was ich auch tat. Wir kamen
ins Gespräch. Und es gelang mir nicht, seiner Frau irgendwelche
Beweise für irgendwelche Verfehlungen seinerseits vorzulegen. Ich erzählte
ihr, daß er ein hart arbeitender Mann sei - er verkauft Autoteile
auf der Illinois Avenue -, erzählte ihr von all diesen Spätschichten
nachts allein im Laden. Ich machte meine Sache gut. Sie glaubte mir
beinahe.
Ich habe natürlich mein
Honorar von ihr kassiert. Schließlich war es sein Geld.
Ich kriege heute noch
Autoteile zum Selbstkostenpreis. Ein Angestellter einer großen
Agentur könnte möglicherweise nicht so arbeiten, könnte es
sich nicht leisten, den Ruf seines Vereins in Gefahr zu bringen.
Aber ich habe keinen Ruf, dem
dergleichen schaden könnte.
Und Bedeutungslosigkeit macht
es einem so viel leichter, Gott zu spielen, wenn man dazu veranlagt ist.
Es macht es einem auch
leichter, sich auf seinem Ego rumtrampeln zu lassen, aber das ist eben die
andere Seite der Medaille.
Um Punkt elf drückte ich
bei den Crystals auf die Klingel.
Um Punkt elf öffnete
Leander Crystal die Tür und führte mich in das Wohnzimmer, aus
dem er mich jüngst so gekonnt herausgeführt hatte.
Eloise war da, saß auf
einem Stuhl vor den Balkontüren. Sie war nicht die Eloise, die ich in
der letzten Zeit kennengelernt hatte. Sie war blaß und müde und
hatte zwei blutunterlaufene Augen. Aber ihr Gesicht zeigte eine Art von
Gelassenheit, die ich nie zuvor an ihr bemerkt hatte.
Ihr Vater war völlig
anders. Stets der supergepflegte Mann von fünfzig mit klarem Blick
und kräftiger Stimme. Immer noch der Mister Cool. Er stand. Ich
setzte mich aufs Sofa, dorthin, wo ich bei meinem Gespräch mit Fleur
gesessen hatte. Er sah mich an und hielt eine Rede.
»Ich habe mit den
anderen Hauptbeteiligten in dieser Sache gesprochen, und wir sind zu dem
Schluß gekommen, daß es wohl das Gegebene wäre, Ihnen die
ganze Geschichte zu erzählen.«
Ich hörte lediglich zu.
Skeptisch war ich natürlich, aber jetzt konnte mich nichts mehr
überraschen.
»Wir sind nicht glücklich
darüber, Sie ins Vertrauen ziehen zu müssen - Ihnen
Familiengeheimnisse anvertrauen zu müssen, so wie die Dinge liegen -,
aber Eloise versichert uns, daß Sie ehrlich sind, und wir gehen
davon aus, daß Sie darüber hinaus diskret sind. Wir wissen, daß
Sie einigermaßen tüchtig sind.«
Huldvolles Zugeständnis.
Es erfüllte mich mit ein klein wenig Stolz.
»Sie wissen, daß
Fleur und ich 1949 geheiratet haben. Sie wissen vielleicht nicht, daß
es eine Liebesheirat war und immer noch ist. Nicht vollkommen, sondern
menschlich.
Ein Teil der Unvollkommenheit
geht auf das Konto von Fleurs Vater. Solange er lebte, versuchte er Fleurs
Gedanken und ihren Geist zu beherrschen.«
Ein Exrauswerfer, der
schlecht von den Toten sprach? Ich veränderte meine Sitzhaltung,
indem ich die Beine übereinanderschlug. Er fuhr fort.
»Nach seinem Tod
sicherte er seine Wertvorstellungen durch die Bedingungen seines
Testaments ab. Wie Sie wissen, hing Fleurs Erbe davon ab, daß aus
unserer Ehe ein Kind hervorging.« Ich nickte überflüssigerweise,
als wollte ich zu seinen Ausführungen den Takt schlagen.
»Zu Lebzeiten hat er
regelmäßig von dieser Bedingung in seinem Testament gesprochen.
Meiner Meinung nach wollte er damit Unfrieden stiften.« Eine
korrekte Vermutung: Sie hatten vor Estes' Tod über das Testament
Bescheid gewußt.
»1952 fand ich dann
heraus, daß ich keine Kinder zeugen konnte.« Noch ein Treffer.
»Als das einmal
feststand, arrangierten Fleur und ich eine Reise nach Europa. Dort hat ein
Freund, den ich im Krieg kennengelernt hatte, Kontakt zu einem französischen
Arzt aufgenommen, der Fleur durch künstliche Befruchtung geschwängert
hat.
Fleur wurde Ende Januar
schwanger. Als alles normal zu verlaufen schien, kehrten wir nach
Indianapolis zurück und verkündeten die gute Neuigkeit.
Das war's also. Sie haben
eine Unschicklichkeit aufgedeckt.
Aber die moralischen Fragen,
um die es hier geht, sind durchaus vielschichtig. Natürlich war auch
Habgier im Spiel, aber es ist nicht
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