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Wer viel fragt

Wer viel fragt

Titel: Wer viel fragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Z. Lewin
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ich eigentlich
     nicht gerechnet. Ich hatte mich auf ein Biest gefaßt gemacht oder möglicherweise,
     als Außenseiterchance sozusagen, auf eine Schönheit. Aber nein.
     Nur eine ganz gewöhnliche, alte Landfrau aus den Weiten Indianas,
     ungefähr dreißig. Eindeutig Durchschnitt.
    Natürlich nur, bis sie
     den Mund aufmachte, aber ich war etwas zu nervös, um ihre stimmlichen
     Qualitäten zu bewundern.
    Ich hatte Mühe, den
     Dingen zu folgen, die sie sagte.
    Wie zum Beispiel »Mr.
     Keindly?« Das warf mich fast um. In den beiden Worten schwang kein
     besonders starker Ausdruck des Wiedererkennens mit, und ich hatte an
     andere Dinge gedacht. Also nickte ich.   
    »Sie können zum
     Doktor rein, wenn er mit der Patientin fertig ist, die jetzt bei ihm ist.
     Wollen Sie sich vielleicht setzen? Es wird nur ein paar Minuten dauern.«
    Ich war allein in einem
     seltsamen Wartezimmer. Irgendwie geht man immer davon aus, daß man
     im Wartezimmer eines Arztes mit anderen Leuten zusammensitzt. Ich vertrödelte
     die Zeit mit Zeitschriften. Bei den Zeitschriften eines Arztes ist
     Vorsicht geboten. Es liegen zwar die gewöhnlichen, mit Bildern,
     Nachrichten und Vergnüglichem versehenen Zeitschriften herum, aber
     der Löwenanteil des Zeitschriftenbudgets geht an medizinische
     Journale verschiedener Arten, die im Wartezimmer dann ihre Pflicht gleich
     auf zweifache Weise erfüllen. Wenn man nicht sehr vorsichtig ist,
     bekommt man eine davon zu fassen und liest plötzlich etwas über
     die verschiedenen Krebsarten, die bei Kindern häufig vorkommen, und
     wie wenig man in drei Viertel der Fälle dagegen tun kann. Nicht
     gerade sehr erbaulich für Eltern, die ihr Schnuckelchen zum Onkel
     Doktor bringen, damit er sich mal diese kleine Beule auf seinem Kopf
     ansieht.
    Oder für Detektive, die
     ihre Töchter schon lange nicht mehr gesehen haben. Ich protestiere
     hiermit nachdrücklich gegen Krebs bei Kindern.
    Ein sehr attraktives brünettes
     Weibsbild verließ, was ich für das Sprechzimmer des Arztes
     hielt. Sie war ungefähr genauso alt wie meine Sekretärin, und in
     jeder Hinsicht das, was ich mir von dieser erhofft hatte. Als der Arzt
     hinter der Brünetten die Tür schloß, wandte ich mich
     wieder der Dame am Schreibtisch zu. Dies gab mir Gelegenheit und Vorwand,
     ihr Gesicht zu begutachten, über dessen Pickelnarben sie in dicker
     Schicht sonnenbraunes Makeup aufgelegt hatte.
    Dann trafen sich unsere
     Blicke. Etwas Außerordentliches geschah. »Das Ergebnis von
     Windpocken, die ich mit achtzehn hatte.«
    »Tut mir leid«,
     sagte ich, und es tat mir leid, schrecklich leid.
    »Gehen Sie heute abend
     mit mir essen?«
    Sie hob die linke Hand, deren
     Ringfinger die Antwort auf meine Frage trug. Ihre Gegensprechanlage
     summte. »Ich bin ein Narr«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie.
     »Sie können jetzt zum Doktor rein.« Die Tür des
     Arztes öffnete sich, und Henry Chivian kam mit ausgestreckter Rechter
     auf mich zu.
    »Mr., ähm,
     Keindly, glaube ich. Ich bin Doktor Chivian.
    Kommen Sie doch rein.«
    Ich kam rein. Chivian war
     durchschnittlich groß, hatte aber eine dunkle, echte Bräune,
     buschige Augenbrauen und einen dicken schwarzen Haarschopf. Er ging
     schnell, beinahe rücksichtslos zu seinem Schreibtisch zurück.
     Der Mann hatte was.
    Ich verbrachte ein paar
     Sekunden damit, mich im Sprechzimmer umzusehen, einem wohlhabenden
     Sprechzimmer modernen Zuschnitts, an dessen rechter Wand ein eingerahmtes
     medizinisches Diplom hing - in dem Bereich der Wand, der einen
     medizinischen Kompromiß darstellt, weil sowohl Patient als auch Arzt
     ihn sehen können. Also besah ich mir das Diplom.
    Universität Oklahoma,
     Januar 1943. Auf jeden Fall war er also älter als Leander Crystal,
     wenn ich auch nicht wußte, wie viele Jahre. Man sah es ihm nicht an.
            
    Der Rest des Sprechzimmers, Bücher
     auf einem offenen Regal, ein paar Schränke, alles hübsch
     ordentlich, und ein paar Bilder oben auf dem Bücherregal unter dem
     medizinischen Diplom. Ein Bild als Soldat und zwei andere, die beide den
     Arzt mit anderen Männern zeigten, anscheinend in gediegenem Ambiente.
     Ich konnte nicht genau feststellen, in welchem. Aber ich hatte auch nicht
     viel Zeit.
    Der Doktor sah geschäftsmäßig
     drein. »Mrs. Rogers sagt, Sie hätten irgendeine Art von Männerproblem,
     Mr. Keindly. Das kann eine ganze Menge bedeuten.«
    »Wenn ich ganz offen
     sein darf, Doktor, bin ich nicht

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