Wer viel fragt
wissen wollte. Ich verstehe nur
nicht, warum Sie noch weiter rumschnüffeln.«
Und mir wäre es wirklich
schwergefallen, es ihr zu sagen. Ich wollte die Geschichte, die man ihr
erzählt hatte, nicht voreilig demontieren. Nicht, bevor ich eine
vollständige Geschichte hatte, die ich an die Stelle der alten setzen
konnte. Aber sie bedrängte mich.
»Warum tun Sie das?«
fragte sie.
»Ich lasse mich nicht
gern belügen«, sagte ich. »Wer hat Sie belogen?«
fragte sie scharf.
»Ich habe nicht gesagt,
daß jemand es getan hat.«
»Wer hat Sie belogen?«
»Ich bin mir nicht
sicher.«
»Nicht mein Vater! Er
hat Sie nicht belogen.« Ich bemerkte, daß sie ihre
terminologischen Probleme im Hinblick auf Leander Crystal entwirrt hatte.
Sie ging mir auf die Nerven.
»Ich habe nicht gesagt, daß mich irgend jemand belogen hat,
ich habe gesagt, ich lasse mich nicht gern belügen, und das bedeutet,
daß ich, wenn man mir eine Geschichte erzählt, diese Geschichte
überprüfe, um sicherzugehen, daß man mich nicht belogen
hat. Und genau das tue ich im Augenblick, und genau das werde ich auch
weiterhin tun. Und außerdem«, fügte ich hinzu, weil ich
mich so verdammt ekelhaft selbstgerecht fühlte, »ich hab's
nicht gern, wenn man in mein Büro einbricht.«
»Wer ist in Ihr Büro
eingebrochen?«
Ich seufzte und antwortete
bedächtig: »Jemand, der sich nur für eine Akte mit der
Überschrift ›Crystal‹ interessierte. Was glauben Sie,
wer das war?«
Sie war offensichtlich erschüttert.
»Und daraufhin haben Sie den Scheck zurückgeschickt?«
Warum die Dinge komplizieren;
technisch gesehen war es die Wahrheit, auch wenn ich den Entschluß
vorher getroffen hatte.
»Daraufhin habe ich den
Scheck zurückgeschickt«, sagte ich.
»Und Sie glauben, er
hat es getan?«
Als Lehrer im Fach ›Grundsätzliches
für Detektive‹ fühlte ich mich deplaziert. »Ich
nehme an, daß es der Nikolaus gewesen ist, weil er die Adresse Ihres
Schornsteins vergessen hat.«
»Sie brauchen gar nicht
so gemein zu werden.«
»Ich weiß. Ich
bin einfach nur müde.«
»Ich muß Sie
langweilen«, sagte sie mit einem Ausbruch von Gefühl, »ich
muß Sie ganz schrecklich langweilen.«
Ich verstehe einfach nicht,
wie es kommt, daß ältere Männer sich mit jungen Mädchen
einlassen. Sie sind so verdammt unzuverlässig. Oder vielleicht liegt
es gerade daran, daß sie sich verändern, daß sie nicht
Tag für Tag, Minute um Minute gleich sind. Aber mich laugt so was
aus.
»Machen Sie sich
deswegen mal keine Gedanken, kleine Dame«, sagte ich mit so viel
Freundlichkeit, wie ich aufbringen konnte. »Es tut mir leid, wenn
meinetwegen im Hause Crystal die Wellen hochschlagen, aber das ist zu
diesem Zeitpunkt ganz bestimmt nicht mehr Ihre Schuld. Schieben Sie mir
die Sache in die Schuhe. Ich bin auf) eden Fall ziemlich pervers, was
diese Dinge betrifft, wenn Sie den Ausdruck kennen. Das ist auch der
Grund, warum ich nicht reich bin.« Wie wahr! »Ich werde
versuchen, es so schmerzlos wie möglich zu machen. Versuchen Sie mir
zu vertrauen, wenn Sie können, und wenn Sie's nicht können, dann
hoffe ich nur, daß Sie begreifen, daß Sie nichts dagegen tun können.«
»Nichts?« fragte
sie. Ich wußte, was sie dachte. Ich glaubte zu wissen, was sie
dachte. »Absolut nichts.«
»Okay«, sagte
sie. Sie stand auf, ging zur Tür und drehte sich dann noch mal um.
»Ich fühle mich besser. Ich weiß nicht, warum, aber ich fühle
mich viel besser.« Ich nickte wohlwollend. An der Tür drehte
sie sich noch einmal um und sagte: »Danke für den Tee. Er war
recht gut.« Sie ging.
Ich fühlte mich auch
besser. Ich wußte, warum. Nicht der Lohn der Tugend, sondern die
Tatsache, daß mir, ganz gleich, wie das alles ausging, diese letzte
Begegnung mit ihr viel besser gefiel als das angespannte, verbitterte
kleine Mädchen, mit dem ich im Haus der Crystals gesprochen hatte.
Damals war sie mir so unsympathisch gewesen, daß ich sie buchstäblich
vollkommen vergessen hatte. Obwohl ich wünschte, ich hätte ihr
gesagt, sie solle ihr Mäulchen halten, wenn sie nach Hause kam.
Ich fand langsam wieder
Geschmack an meiner kleinen Klientin. Meiner ehemaligen Klientin.
36
Ich wartete eine Weile, bevor
ich Miller anrief. Ich wollte mein Leben in überschaubare Abschnitte
gliedern, es in leichter verdauliche Stücke zerlegen.
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