Wer will schon einen Vampir?: Argeneau Vampir 8
gefragt. Sie haben momentan eine Menge davon im Körper, die ungefähr vier bis sechs Cocktails entspricht. Ich schätze, ein bis zwei Cocktails genügen, um Sie sehr.... äh.... freundlich zu stimmen. Vier bis sechs werden vermutlich dafür sorgen, dass Sie nicht mehr allzu klar denken können. Ich begleite Sie.”
„Das ist keine gute Idee”, wandte er ein, da er wusste, dass sie keine Vorstellung davon hatte, in welcher Verfassung er sich in Wahrheit befand und wozu er fähig war.
„Ich werde Sie in Ihrem Zustand nicht allein umherziehen lassen, erst recht nicht in Amsterdam.”
Thomas stutzte. War das etwa ein besitzergreifender Tonfall in ihrer Stimme gewesen? Er hatte bereits im Hotel in London gemerkt, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, doch da wusste sie noch nicht, was er war. Da hatte er noch gegrübelt, wie sie wohl auf seine Erklärungen reagieren würde. Aber ein besitzergreifender Tonfall war auf jeden Falle in gutes Zeichen.
„Gehen Sie vor, Thomas”, forderte Inez ihn leise auf und holte ihn aus seinen Gedanken. „Sonst fasse ich Sie an.” Ihre Drohung verblüffte ihn, aber er schüttelte nur den Kopf.
„Glauben Sie mir, das würden Sie bereuen.”
Er gab seine Anstrengungen auf, sie zurückzuschicken, und steuerte stattdessen eine schummrig beleuchtete Gasse an. Zunächst ging er noch langsam, bis sie ihn eingeholt hatte, dann beschleunigte er seine Schritte, um ihrem Duft zu entgehen und nicht mit ihr reden zu müssen. Er hoffte, wenn sie ihn nicht anfasste, wenn er sie nicht riechen konnte und nicht mit ihr redete, würde er so tun können, als sei sie nicht da, damit sein Körper etwas zur Ruhe käme. Jeder Nerv stand unter Hochspannung, seit sie in der Straßenbahn aufgetaucht war.
Natürlich funktionierte sein Plan nicht, da Inez keine Frau war, die man so leicht ignorieren konnte. „Wohin gehen wir?”, fragte sie.
Thomas sah sich um. In der Gasse herrschte viel Publikumsverkehr, Touristen waren auf dem Kopfsteinpflaster in beide Richtungen unterwegs. Wären es keine elektrischen, sondern Öllampen gewesen, die in der Dunkelheit für Licht sorgten, dann hätte die Gasse fast noch immer so ausgesehen wie bei seinem ersten Besuch vor hundertfünfundsiebzig Jahren.
„Thomas?”, hakte sie nach.
„Ins Rotlichtviertel.”
Inez war froh, sich entschieden zu haben, Thomas zu folgen. Der Gedanke, ihn allein durch das berüchtigte Rotlichtviertel von Amsterdam laufen zu lassen, löste bei ihr Unbehagen aus. Während sie zwischen zwei Straßenlaternen vom Licht ins Dunkel wechselten, beobachtete sie ihn von der Seite. Es hatte sie überrascht, ihn in die Straßenbahn einsteigen zu sehen, als sie das Hotel verließ. Sie war davon überzeugt gewesen, ihn erst wieder bei diesen Koordinaten zu treffen, die Herb ihm gegeben hatte. So aber war sie sofort losgelaufen, um die Bahn noch zu erwischen, und zum Glück war der Fahrer so nett gewesen, auf sie zu warten. Thomas hatte angespannt und unglücklich gewirkt, als sie ihn in der Bahn entdeckte, und zu dem Zeitpunkt ahnte er nicht mal, dass sie zugestiegen war. Dem Mann war deutlich anzusehen, dass er litt. Er ertrug es nicht, angefasst zu werden, und sobald sie ihm zu nahe kam, brach ihm der Schweiß aus. Es schien ihn sogar Überwindung zu kosten, sie nur anzusehen.
Die Gasse mündete in eine Straße, zumindest hielt sie es für eine Straße, die aber etwas sonderbar wirkte, da in der Mitte ein Kanal verlief, den in unregelmäßigen Abständen kleine Brücken überspannten. Fasziniert sah sie sich um und stellte zu ihrer Verwunderung fest, wie hübsch hier alles war. Die Gebäude standen dicht aneinandergedrängt, jedes mindestens zwei Stockwerke hoch, manche aber auch drei oder vier. Einige Häuser waren extrem schmal und wiesen gerade einmal zwei Fenster nebeneinander auf, aber im Erdgeschoss schien es überall ein Geschäft zu geben, da sie Licht in den Schaufenstern sah. Sogar die bogenförmigen Brücken über den Kanal waren mit Glühbirnen geschmückt.
Sie gingen weiter und kamen an Bars, Clubs und Sexshops vorbei, bis auf einmal.... Inez blieb abrupt stehen und betrachtete ungläubig die rot beleuchteten Schaufenster im Erdgeschoss. Bei einigen waren Vorhänge zugezogen, in ein paar anderen standen leere Hocker oder Stühle, an der Scheibe klebte ein „Bin gleich zurück”-Zettel, aber hinter den meisten Fenstern saßen spärlich bekleidete Frauen in knappen Stretchkleidern oder noch knapperen Dessous. Es war wie eine
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