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Wer wir sind

Wer wir sind

Titel: Wer wir sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Friedrich
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schleichen Sie denn hier herum?«
    Die Posten sind aufmerksam geworden. Einer kommt auf Clarita zu.
    »Ihren Ausweis bitte. Wer sind Sie, und was wollen Sie hier.«
    Clarita hat keine Spucke im Mund. Sie spürt ihren Körper nicht. Man wird sie nun verhaften. Woran kann sie appellieren, an ihr Unglück? An seine Güte?
    »Ich habe mich verlaufen«, flüstert sie. »Ich werde jetzt auch wieder gehen.«
    Der Mann sieht sie an. Er sagt: »Ich bringe Sie zum Ausgang.«
    Der lange Weg zurück, fort von der Tür. Die Stimme dahinterwird leiser und leiser. Clarita hat versagt. Alle Hoffnung schwindet. Der Posten sieht sie an, von der Seite.
    »Wo wollten Sie denn nun eigentlich hin?«
    »Ich weiß es nicht. Ich wollte so sehr gern noch einmal meinen Mann sehen.«
    Der Posten zögert. Dann sagt er: »Kommen Sie. Es gibt ein Fenster zum Hof, da können Sie die Gefangenen sehen, wenn sie wieder in die Wagen steigen.«
    »Sie können jetzt aufhören, uns hier in die Irre zu führen.«
    Adam Trott steht vor Freisler.
    »Das haben Sie schon in den Verhören versucht. Da haben Sie auch um den heißen Brei herumgeredet, bis Sie sich nachher doch bequemt haben, Ihre Mitwisserschaft einzugestehen.«
    Adam senkt den Kopf. Nachher hat er sich bequemt. Wenn er nur aus seiner Erinnerung tilgen könnte, was diesem Nachher voranging: der furchtbare Schmerz, die Demütigung. Dann hat er sich bequemt. Und nun? Was soll er noch sagen? Es hat keinen Sinn. Es hat ja alles keinen Sinn mehr.
    Er sagt: »Ich habe mir die Vorstellung gemacht, dass auf irgendeinem Wege versucht werden würde, die Person des Führers anzugreifen oder auszuschalten.«
    Freisler brüllt.
    »Und damit waren Sie einverstanden?«
    Adam hebt den Kopf. Er sieht Freisler an. Etwas in ihm richtet sich zu voller Größe auf.
    »Gewiss.«
    »Was machen Sie denn, wo gehen Sie hin?«
    Wieder ist die Frau aufgetaucht. Wieder läuft das böse Weib hinter Clarita und dem Wachtmeister her.
    »Ich werde das melden. Die hat hier nichts verloren. Wer istdie überhaupt? Warum führen Sie die durch das Gebäude? Die gefällt Ihnen wohl!«
    »Es hat keinen Sinn«, flüstert Clarita dem Wachtmeister zu. »Ich gehe. Lassen Sie mich bitte gehen. Es hat ja keinen Sinn.«
    Sie wartet seine Antwort nicht ab. Sie flieht. Sie fliegt den Gang entlang, durch die Halle, die Treppenstufen hinab und hinaus in den Kleistpark.
    Dort wartet Werner auf sie.
    »Du kannst nicht zurück, Clarita. Du wirst gesucht.«
    »Was?«
    »Du kannst nicht nach Imshausen. Clarita, du musst dich jetzt zusammennehmen. Sie haben die Kinder abgeholt. Vera durfte sie noch bis Kassel begleiten. Dann sind sie von der Gestapo weggebracht worden.«
    »Wo sind meine Kinder!«
    »Das weiß keiner. Aber wenn du nach Imshausen fährst, wird man dich verhaften.«
    Clarita kann sich nicht rühren. Sie kann nicht sprechen. Sie kann nicht schlucken. Sie steht reglos. Dies also ist Todesangst.
    »Ich gehe zu Poelchau«, sagt sie zu Werner.
    »Hier findet meine Sprechstunde gar nicht mehr statt«, sagt Harald Poelchau.
    Er steht vor seinem Schreibtisch in der Haftanstalt Tegel. Er wirkt sehr kühl. Er wirkt überhaupt nicht wie ein Mann, der Clarita trösten, der ihr jetzt raten oder helfen könnte.
    »Ich bin heute nur zufällig hier«, sagt Harald Poelchau. »Wer hat Sie überhaupt zu mir geschickt?«
    »Ich kenne Ihren Namen von meinem Mann. Er hat ihn mehrmals erwähnt. Ebenso Helmuth Graf von Moltke. Mein Mann ist gestern zum Tode verurteilt worden. Und ich werdegesucht, und meine Kinder sind fort. Ich habe zwei kleine Kinder, und die haben sie mir fortgenommen.«
    »Bitte setzen Sie sich«, sagt Harald Poelchau mit veränderter Stimme.
    Eine Stunde später steht Clarita wieder auf der Straße. Poelchau hat sie tatsächlich nicht getröstet. Er hat sie gerettet. Er hat ihr nahegelegt unterzutauchen, er hat ihr seine Hilfe zugesagt. Seine Nüchternheit war wunderbar lindernd. Poelchau ist ein Führer durch eine Hölle, in der er sich souverän zurechtfindet, ohne ihr anzugehören. Nach dem Gespräch hat Clarita für sich selbst entscheiden können.
    Sie wird nicht untertauchen. Ständig auf der Flucht zu sein, auf Gedeih und Verderb abhängig von der Hilfe Fremder, die sie mit ihrer Anwesenheit in Todesgefahr bringen würde, ohne jede Möglichkeit, die Familie zu kontaktieren oder Nachricht von den Kindern zu erhalten, unabsehbar lange gehetzt zu werden wie ein Tier und am Ende womöglich irgendwo zu sterben, ohne dass jemals jemand

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