Werbevoodoo
er nur ein paar Kilometer schneller war, war alles anders. Das Boot lag ruhiger, die Geräusche nahmen ab, wie Schneidervater gesagt hatte: Alles wurde leichter.
Der Alte übernahm wieder das Ruder, sie steuerten Possenhofen an, wo ein Schild am Anlegesteg das Forsthaus am See ankündigte. Timo kannte es nur vom Hörensagen, für Schneidervater war es ein zweites Wohnzimmer. Ein Kellner half beim Festmachen des Bootes und stellte einen Champagnerkübel auf den Steg.
»Die offizielle Bootsweihe kommt erst in zwei Wochen. Bis dahin kann das Boot doch nicht ungetauft herumfahren. Also geben wir zwei heute dem Kind seinen Namen. Zieh mal die Folie am Heck ab!«
Erst jetzt bemerkte Timo die weiße, undurchsichtige Folie, die in der Mitte des Hecks ein weißes Rechteck bildete. Er zog sie ab und darunter kam der Schriftzug ›Résistance‹ zum Vorschein.
»Machst du das, bitte?« Schneidervater drückte ihm die Champagnerflasche in die Hand und deutete ihm, sie am verchromten Bugbeschlag zu zerschlagen. Statt die ganze Flasche zu zerschmettern, schlug er den Hals mit dem Korken am Bug ab, spritzte ein paar Schlucke über das Deck und sagte: »Ich taufe dich auf den Namen Résistance.«
Es war ein ungekünstelter Moment, der nichts von einer Inszenierung hatte. Er wirkte angemessen und echt. »Gut gemacht«, freute sich Schneidervater, legte seinen Arm um Timos Schulter und so schlenderten sie über den Steg Richtung Seeterrasse zu ihrem Tisch.
»Zum ersten Mal seit 40 Jahren hat die Agentur die Verdrängerfahrt hinter sich gelassen. Wir sind im Gleiten, Timo. Und das ist dein Verdienst. Du bist ein starker, verlässlicher Motor. Danke!«
Mit der angebrochenen Flasche Champagner stießen sie an. Timo hatte längst aufgehört, zu zählen, wie oft er schon auf die Résistance-Kampagne angestoßen hatte. Doch Schneidervater hatte etwas anderes vor: »Auf uns, Timo. Sag bitte Lukas zu mir!«
Seiner Miene nach zu urteilen verstand Timo nicht ganz. »Ich duze ja alle jungen Leute«, erklärte Schneidervater. »Irgendwann werden sie dann älter, dann gibt es mal einen kleinen Fehler oder einen großen Krach und dann gehe ich zum Sie über. So mache ich das üblicherweise. Den Tom habe ich auch früher geduzt, erst seit der Sauerei mit der Brauerei bin ich mit ihm beim Sie. Bei dir ist das etwas anderes, Timo. Da möchte ich gern zum dauerhaften, gegenseitigen Du übergehen.« Er erhob das Glas noch einmal. »Also, Timo, auf uns!«
»Auf uns, Lukas!«, prostete Timo zurück.
Mitten in der Hauptspeise fragte Timo scherzhaft: »Wie lange muss ich eigentlich sparen, bis ich mir so ein Boot leisten kann?«
»Brauchst du nicht. Du darfst es gern benutzen.«
»Ich schätze zehn Jahre. Und dann hätte ich nicht einmal das Geld für den Sprit. Lukas, du bist echt wahnsinnig reich.«
»Bin ich reich?«, fragte Schneidervater Timo. Der sah ihn verwundert an.
»Ich bin ein bisschen reich. Klar – in 40 Jahren hab’ ich ein paar Millionen verdient. Aber auch nicht mehr als ein halbwegs tüchtiger Leberkäsehersteller.«
Offenbar führte Schneidervater solche Gespräche nicht so oft, wie Timo annahm. Denn er dachte vor jedem Satz länger nach. Timo war überrascht von seiner Offenheit.
»Reichtum basiert auf Ausbeutung.« Schneidervater nahm einen Schluck Wasser, während er auf den See hinausblickte. »Für ein kleines Vermögen musst du viele kleine Leute ausbeuten. Für ein großes Vermögen musst du viele große Leute aufs Kreuz legen. Das ist mir aber nie gelungen, dafür ist Werbung der falsche Weg. Wenn du das vorhast, musst du dir etwas anderes suchen.«
»Das ist es ja«, sagte Timo, »mir ist Geld vollkommen wurscht. Mir geht es um meine Ideen, und sonst um nichts.«
»Siehst du, und deshalb lasst ihr euch so leicht ausbeuten, du und deine Kreativkollegen. Aber das Verrückte ist: Sobald ihr anfangt, das zu begreifen und über Geld nachdenkt, und dann mehr Geld verlangt, werdet ihr schlechter. Und wenn ihr dann erst richtig Geld braucht für eure Autos, eure Frauen, eure Kinder, eure Häuser, dann seid ihr längst keine Kreativen mehr, sondern nur noch Manager.«
»Aber Picasso hat auch mit Mitte 50 die Guernica gemalt, der war auch nicht mehr jung und trotzdem gut«, wandte Timo ein.
»Ja, aber als junger Maler hat er sich entschieden, seine Zeichnungen im Ofen zu verbrennen, um im Winter das Geld zum Heizen zu sparen. Er war von Anfang an sein eigener Manager und wurde im Lauf der Jahre immer besser darin.
Weitere Kostenlose Bücher