Werwolfkind (German Edition)
geisterte eine Strecke vor Ricardo dahin. Der Gang war uneben, es gab Windungen, je nachdem, wie der Stollen, dem er folgte, am leichtesten zu graben gewesen war. Ricardo passierte ein paar Treppenstufen. Er sah weit besser als ein normaler Mensch.
Der Werwolfkeim in seinem Blut ermöglichte ihm das. Und er spürte Blutdurst in seinem Innern, die Bestie, die nach Futter verlangte. Töte die beiden, ging es ihm durch den Kopf. Es sind Mafiosi und Mörder, die nichts Besseres verdient haben. Du lädst keine Schuld auf dich, wenn du sie umbringst, und einmal, einmal, ein einziges Mal kannst du deinen Blutdurst stillen.
Das Artgedächtnis des Werwolfs ließ Ricardo metallischen Blutgeschmack schmecken. Der Geifer troff ihm über die Lefzen, so gierig war er. Er schämte sich, als er es merkte und schluckte die Spucke hinunter. Dann hörte er ein Knurren und Grollen, nicht allzu laut, doch wahrnehmbar.
Als er es registrierte und lauschte, merkte er, dass er selber es war, der diese Laute hervorbrachte. Er unterdrückte sie und schlich dem Großen und dem Stämmigen nach. Er hörte sie sprechen.
»Das ist das reinste Labyrinth hier unten. Und wie muffig und feucht das riecht.«
»Da sind Spinnen und Asseln. – Pfui, eine fette Kröte. Das ist die richtige Umgebung für einen Werwolf.«
»Ob sich der alte Benito freut, wenn wir ihn befreien?«
»Er sollte es. Wer mag schon hier eingesperrt sein?«
»Der eigene Bruder hat ihn da eingekerkert. – Pfui.«
Dumpf und verzerrt drangen die Stimmen der beiden Schurken zu Ricardo. Er war auf der Hut. Er folgte ihnen, bis sie nach einigen Abzweigungen in diesem unterirdischen Labyrinth den Zellentrakt erreichten. Ricardo war schon sehr lange nicht mehr hier unten gewesen, außer im Zellentrakt.
Normalerweise hatte er da nichts zu suchen. Als Lausejunge war er manchmal in den Gewölben umhergestrichen. Einmal war ein Teil des Gemäuers eingebrochen und hatte den Gang abgesperrt, in dem er sich befand. Es hatte Tage gedauert, bis er gefunden wurde – nur seiner unglaublich zähen Werwolfnatur verdankte es Ricardo, dass er überlebt hatte.
Es hatte nichts in der Dunkelheit für ihn gegeben, nicht einmal einen Tropfen Wasser oder auch nur einen Hauch Feuchtigkeit. Sein Vater hatte die Sucharbeiten angeführt, ihn mit scharfen Werwolfsinnen gewittert und aufgespürt. Sonst wäre er elend verschmachtet, denn auch ein Werwolf ging unter solchen Bedingungen zugrunde.
Ricardo hörte wieder die zwei Mafiosi.
»Da vorn ist es. Jetzt heult er wieder.«
Nachdem eine Weile Stille gewesen war, ertönte wieder das schaurige Wolfsgeheul. Es wollte die Trommelfelle sprengen. Besonders Ricardo mit seinem überscharfen Gehör peinigte es. Er presste die Hände gegen die Ohren und stellte fest, dass die spitz geworden und behaart waren.
Auch seine Hände hatten sich verändert. Die Nägel waren zu Klauen geworden. Die Kraft des Vollmonds drang bis tief unter die Erde.
Er pirschte sich vor und sah außer dem Lichtkegel der Taschenlampe schwachen Lichtschimmer. Er drang durch die dicken Gitterstäbe. Ricardo hatte die Stäbe noch extra mit einer Silberlegierung bestreichen lassen.
Benito und seine Gefährtin, deren Namen Ricardo nicht kannte, steckten in der großen, halbrunden Zelle tief unter der Erde. Durch einen Lichtschacht oben in der Ecke drang schwach das Licht des Vollmonds herunter. Benito strich um die Gitterstäbe. Er hatte längst gewittert, dass jemand kam.
Benito di Lampedusa hatte die Gestalt eines sehr großen grauen Wolfs mit mörderischen Reißzähnen und rotglühenden Augen. Von seiner Gefährtin war nichts zu sehen. Sie musste in einer Wandnische stecken. In der Zelle gab es nur zwei Strohsäcke, eine Futterkrippe und einen großen Fressnapf. Streu und abgenagte Knochen bedeckten den Boden.
Die beiden Werwölfe sollten ihre Zelle selbst ausfegen und reinigen. Irgendwo musste ein Reiserbesen stehen. Ricardo bedauerte es nicht, seinen Halbbruder und die Werwölfin unter solchen Umständen gefangen zu halten. Die Alternative wäre der Tod gewesen. Beide waren sie grässliche Bestien. Sie hatten Ricardos erste Frau Sophia und viele andere auf dem Gewissen.
Dass sein Halbbruder sogar mit der Mafia paktierte, hatte Ricardo bisher nicht gewusst. Auch da hatte Benito viel Blut vergossen. Er grollte, knurrte und winselte. Sein Schweif peitschte hin und her. Er witterte Ricardo, der gegen die Verwandlung ankämpfte.
Der untersetzte Mafioso sagte: »Don Benito di
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