Wetterleuchten
wahrscheinlich, dass er wieder hier absteigen würde. Und darauf wollte es Becca nicht ankommen lassen.
Da hörte sie Josh schreien und sah, wie er und Derric aus dem Büro neben der Wohnung kamen und auf dem leer stehenden Grundstück nebenan eine Zielscheibe gegen einen Baum lehnten. Josh rief: »Wetten, ich treffe ins Schwarze? Wetten? Wetten? Wetten?«, und Derric antwortete gutmütig: »Keine Chance, Alter.«
Becca beobachtete sie eine Weile unbemerkt, und bei Derrics Anblick wurde es ihr schwer ums Herz. Die Jungs stellten sich auf und schossen ihre Pfeile mit Gummispitze auf die Zielscheibe. Es war ein Pfeil-und-Bogen-Set für Kinder und Derric musste sich Mühe geben, seinen Bogen nicht zu zerbrechen. Sein Pfeil flog weit am Ziel vorbei. Josh traf zwar die Scheibe, aber nicht ins Schwarze. Trotzdem stieß er einen lauten Siegesschrei aus und führte einen Indianertanz auf. Derric lachte und fuhr dem kleineren Jungen mit der Hand durchs Haar. Dann sah Josh Becca.
»Hi, Becca!«, rief er. »Wir schießen mit Pfeil und Bogen! Willst du mitmachen?«
Innerlich verzog sie das Gesicht. Sie kam sich vor wie ein ertappter Spion und rief zurück: »Hi, Josh. Macht bestimmt Spaß.« Damit drehte sie sich um und. ging wieder in Richtung Stadt. Doch dann kam Chloe aus dem Haus gelaufen, und als sie Becca sah, schrie sie: »Becca! Becca! Oma hat Haferflocken-Rosinen-Kekse gebacken! Ihre Spezial... ihre Spezial... ihre Spezialheit. Die hier sind für Josh und Derric.« Dabei hielt sie die Hände hoch, in denen sie je einen eingewickelten Keks hatte.
Becca brachte es nicht übers Herz, Chloe einfach so stehenzulassen. Sie überquerte die Straße, legte ihr die Hand auf den Kopf und sagte: »Haferflocken und Rosinen? Das sind die Allerbesten.«
»Willst du auch einen? Josh und ich essen die nämlich heute Abend alle auf.«
»Das fände eure Oma sicher nicht so gut«, gab Becca zu bedenken.
»Pscht! Nicht verraten!« Damit hüpfte Chloe davon.
Becca sah ihr hinterher. Na gut, dachte sie. Es sollte wohl so sein. Sie ging ins Büro und durch das Wohnzimmer mit seinen bequemen alten Ahornholzmöbeln und dem üblichen Chloe-und-Josh-Chaos. Debbie Grieder war in der Küche und löffelte Keksteig auf ein Backblech. Mindestens zwei Dutzend frisch gebackene Kekse lagen schon auf einem Rost. Bei dem herrlichen Duft lief Becca das Wasser im Mund zusammen.
Debbie lächelte sie an. Ihr graues Haar wurde von einem schiefen Zopf zusammengehalten und auf ihrer vernarbten Stirn war ein Handabdruck aus Mehl, der Größe nach von Chloe. Sie trug eine Schürze, die über und über mit Keksteig-Zutaten bedeckt war. Als sie merkte, wie Becca darauf starrte, dachte sie: macht sie für ein Gesicht ... den Blick kenne ich ... Dann lachte sie und sagte: »Kochen ist nicht meine Stärke, Schatz. Das weißt du ja. Kekse sind was anderes. Nimm dir doch ein paar. Milch ist im Kühlschrank. Gießt du uns beiden ein Glas ein?«
Becca holte die Gläser, und es war ein gutes Gefühl, zu wissen, wo alles war. Dann schnappte sie wieder Debbies Flüstern auf: viel abgenommen ... hübsch mit den Haaren ... aber er hat gesagt... und junge Leute wissen wohl, wenn es nicht passt ... was sich vermutlich auf Derric bezog. Sie seufzte. Ein weiterer Grund, warum sie nicht hierher zurückkehren konnte: Derric war ständig hier. Wie würde das aussehen? Als würde sie ihm auflauern oder so. Ja, genau, dachte sie. Denn eines hatte sie inzwischen gelernt: Ganz gleich, wie schlecht die Dinge standen, es konnte immer noch schlechter kommen.
Nachdem Debbie das nächste Blech in den Ofen geschoben hatte, nahm sie sich einen Keks und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. Dann griff sie nach dem Exemplar der Lokalzeitung, das auf dem Stuhl neben ihr lag, biss in den Keks und sagte zu Becca: »Hast du das gesehen, Schatz? Es ist schon wieder ein geheimnisvolles Mädchen auf die Insel gekommen. Genau wie du damals.« Dabei hielt sie Becca die Zeitung hin.
Auf der Titelseite war ein großes Foto von einem Mädchen abgebildet, und darunter stand der Name CILLA. Die Schlagzeile lautete: WER KENNT DIESES MÄDCHEN? Der dazugehörige Artikel lieferte weitere Einzelheiten.
Becca überflog den Text. Die wichtigsten Stichworte sprangen ihr förmlich ins Auge: Possession Point, Jenn McDaniels, Wohnwagen, ein Koffer mit einem Brief darin, ein Mädchen, das nicht sprechen konnte oder wollte, die Gemeinschaftspraxis von Langley und tausend Fragen.
Debbie Grieder wusste auch
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