Whisper (German Edition)
stockfinsterer Nacht durch die Wildnis schleifen lässt, erscheint mir doch ein bisschen weit hergeholt.“
„Und was ist mit dem Stoffstück?“
Stefan zuckte mit den Schultern.
„Mann, der Fuchs hat zugebissen und ein Loch in ein Shirt gerissen. Das ist doch nicht so abwegig.“
Kino seufzte. Vielleicht hatte Stefan recht. Vielleicht bildete er sich in seiner Euphorie wirklich etwas ein, was gar nicht war. Pferde konnten solche Dinge in der Tat nicht wissen. Sie liefen heim, ja, weil es zuhause eine warme Box, Futter und Wasser gab. Aber sie waren keine Treckführer.
„Okay“, meinte er schließlich, „überzeugt. Dann verfolgen wir die Spur also nicht, sondern reiten direkt nach Hause.“
„Worauf du wetten kannst!“
Stefan war wieder auf sein Pferd gestiegen und Kino tat es ihm nach kurzem Zögern nach, hatte aber ein schlechtes Gefühl dabei. Ein verdammt Schlechtes. Aber vermutlich war es wirklich besser, zur Ranch zu reiten, als irgendwelchen erdachten Geschichten nachzulaufen.
Gemeinsam verfolgten sie die Spur nur einige Meter, dann bog sie nach Westen ab, während sie nach Osten zu reiten hatten. Kino sah ihr noch etwas nach, bevor er sich abwandte. Lag er wirklich so falsch?
Als er das dumpfe Grollen am Himmel hörte, hob er seinen Kopf. Der Himmel hatte sich zugezogen. Lange konnte es sicher nicht mehr dauern, bis ihnen ein Gewitter das Leben hier draußen zur Hölle machen würde.
„Reiten wir noch ein Stück“, rief er Stefan entgegen, „solange es geht, denn wenn der Sturm losbricht, brauchen wir Schutz und können sowieso nicht weiter.“
Er sah nur Stefans Nicken, der sein Pferd in leichten Trab versetzte. Je zügiger sie vorankamen und je früher sie die Ranch erreichen würden, desto schneller konnten sie Hilfe für die Jugendlichen organisieren.
Es dauerte wirklich nicht mehr lange. Der Wind nahm immer mehr zu, das Donnergrollen wurde heftiger, und ständig zuckten Blitze durch die Atmosphäre. Innerhalb kürzester Zeit wurde es gespenstisch dunkel, obwohl es erst Nachmittag war, aber die schweren Gewitterwolken waren wie eine Decke, die sich langsam aber stetig vor die Sonne schob. Der zuerst frische, kühle Wind intensivierte sich zu einem Sturm, der Bäume biegen ließ und dafür sorgte, dass trockene Äste zu Boden fielen. Und mit dem Sturm kam der Regen. Zuerst einzelne schwere Tropfen, bis der Himmel seine Pforten öffnete und herab laufen ließ, was er zu bieten hatte.
Kino war an Stefan herangeritten, hatte sich seine Jacke bis unters Kinn zugezogen und die Hände in die Ärmel gesteckt.
„Stefan, wir sollten raus aus dem Wetter. Wir weichen komplett auf.“
Vor ihnen krachte ein Ast zu Boden, sodass die Pferde kurz scheuten. Stefan griff in die Zügel und beruhigte das Tier mit einem sanften Streicheln am Hals.
„Du hast recht. Entweder wir ersaufen oder werden erschlagen. Hier in der Nähe muss es doch noch die alte Jagdhütte geben. Reiten wir hin und warten wir das Wetter ab.“
„Gute Idee“, rief Kino das Rauschen des Sturmes übertönend, „sieht nicht gut aus. Das wird noch heftiger. Da vorne biegen wir links ab. Die Böschung ist nicht zu steil, dass schaffen wir. Dann sind wir gleich bei der Hütte.“
Stefan trieb sein Pferd voran. Der Sturm schnellte mit ungeahnter Macht durch den Wald, ließ es krachen, warf Bäume um, die mit lautem Getöse in die Äste der anderen Bäume fielen, nahm schlicht alles mit, was in seine Kraft passte. Der Regen prasselte vom Himmel, durchdrang mühelos das Dach des Waldes und kam literweise zu Boden. Durch den Wind fielen die Tropfen nicht senkrecht, sondern waagerecht, sodass die Pferde versuchten sich umzudrehen, um sich mit dem Hintern gegen den Wind zu stellen. Sie waren nervös, scheuten leicht, rissen bei jedem neuen Krachen die Köpfe erneut hoch. Stefan und Kino trieben sie unbeirrt weiter. Die Hütte war ihre letzte Chance. Jene kleine Jagdhütte, die schon zu früheren Zeiten, als die Leute noch auf die Jagd angewiesen gewesen waren, Mensch und Tier als Schutz gedient hatte.
Als ganz in ihrer Nähe ein Baum, während eines heftigen Donners, der die Welt erzittern ließ, zu Boden krachte, machte Kinos Pferd einen heftigen Satz zur Seite. Nur mühsam hielt der Indianer sich im Sattel, schüttelte den Kopf, da das Wasser bereits in seinen Haaren hing und über sein Gesicht lief.
„Alles klar?“, schrie ihm Stefan zu und Kino gab ihm nur ein Handzeichen als Antwort. Nur noch langsam kamen sie vorwärts.
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