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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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Augen.
    Das Ding auf dem Scheunenboden liegt wieder still da, verloren in
seiner Traumwelt.
    Meine Lippen formen eine stumme Warnung in Lisas Richtung: Leise! Dann erst fällt mir ein, dass sie mich nicht sehen
kann. Ich hauche das Wort ins Gebälk hinauf.
    Lisa raunt meinen Namen. Sie wusste, dass ich hier bin, von Anfang
an.
    Verfilzte, blutverkrustete Strähnen kleben wie ein roter Umschlag
über ihrem rechten Ohr. Ihr rechtes Auge ist zu einem dunklen Schlitz
zugeschwollen. Sie müssen sie niedergeschlagen haben, um sie hierherzuschleppen – obwohl ich mir vergeblich den Kopf zermartere, weshalb sie nur Lisa erwischt
haben und nicht auch mich. Vielleicht hat sie die Gegend erkundet, nachdem ich
eingeschlafen war, am ehesten durch ein Fenster, denn die Tür hatte ich mit
meinem Körper blockiert.
    Nein. Etwas musste sie ins Freie gelockt haben. Von sich aus hätte
sie den Schutz der Hütte nie verlassen.
    Dummes Mädchen.
    Gott sei Dank lebst du noch.
    Rotbrauner Schorf löst sich von ihren rissigen Lippen. Sie erscheint
mir noch dünner als am Vortag. Ihre Beine sind ganz eng an den Körper gezogen.
Ich möchte losheulen. Ich möchte sie umarmen.
    Die Torflügel schließen sich mit einem rostigen Scharren.
    Ich haste zurück zum Ausgang, so schnell ich kann, ohne die Bewohner
zu wecken.
    Â»Nein!«, flüstere ich. »Das kannst du nicht machen!«
    Seine Stimme ist so kalt wie der Winter in seinem Heimatland. »Ich
habe dich gewarnt. Diese Scheusale müssen verschwinden.«
    Â»Du Scheißkerl!«
    Â»Wenn du das hier überlebst, dürfte es sich lohnen, dein Leben zu
retten.«
    Â»Deine Logik weist Fehler auf.«
    Â»Tatsächlich?«
    Â»Ich bin unterwegs nach Brindisi, und ich habe nicht all die
Strapazen auf mich genommen, um mich kurz vor dem Ziel von einem verdammten
Käsefresser in einer Scheune einsperren und ins Jenseits sprengen zu lassen.«
    Ich blicke mich um, doch außer Lisa scheint niemand meine Worte zu
hören. Die Gestalten wälzen sich weiter in ihren unruhigen Träumen.
    Â»Schon mal von Charles Darwin gehört?«
    Â» Die Entstehung der Arten. Natürliche
Zuchtwahl. Ich habe mir durchaus ein wenig Trivialwissen angeeignet, bevor ich meinen Job bei Pope Pharmaceuticals antrat.« Das
ist sarkastisch gemeint, klingt aber eher verzweifelt.
    Er bleibt stumm.
    Â»Hallo?«
    Das Vorhangschloss quietscht. Das Geräusch wirkt auf die schlafenden
Bestien wie ein Wecker. Sie schütteln den Schlaf ab wie zerlumpte Decken.
Offenbar sind sie so weit Menschen geblieben, dass sie eine Weile brauchen, um
die Nebel des Traums zu vertreiben. Sie reiben sich sogar die Augen, scheinen zu
überlegen, was sie aufgeschreckt hat. Mein Herz zieht sich zusammen.
    Â»Lisa?« Meine panischen Blicke wandern durch die Scheune, suchen
nach einem Aufstieg in das Balkenwerk des Heubodens. »Wie bist du da
hinaufgekommen?« Aber dann entdecke ich das Häuflein halb verfaulter Holzstücke
auf dem Boden. Zerbrochene Leitersprossen.
    Denk nach, Zoe! Es wird eng!
    Stille kann uns jetzt nicht mehr retten. Einzig und allein
Schnelligkeit ist gefragt.
    Â»Lisa, du musst springen.«
    Sie schüttelt den Kopf und beginnt am ganzen Körper zu zittern.
    Ein Schlitz zeigt sich zwischen den Torflügeln. Der Schweizer starrt
mich an. Ich erkenne keine Spur von Wärme in seinem Blick. » Über
die Entstehung der Arten. So lautet der genaue Titel.«
    Ich atme tief durch und riskiere alles. »Lisa!«
    Ihr Kopf fährt mit einem Ruck hoch. Ihre Gedanken ordnen sich lange
genug, um meinen Befehl zu verstehen. Ich schnippe mit den Fingern, gebe ihr
ein akustisches Ziel. Beweg dich auf mich zu! In der
anderen Richtung liegt Wahnsinn. Sie weiß, was Wahnsinn ist. Sie hat in der
kurzen Zeit seit Ausbruch der Seuche genug davon erlebt.
    Drei Augenpaare wenden sich mir zu. Zwei weitere Scheusale sind mit
sich selbst beschäftigt. Der größte und kräftigste Kerl, ein Mann um die vierzig,
bevor ihn das Weiße Pferd erwischte, drückt eine der Frauen mit dem Gesicht
nach unten ins Stroh und besteigt sie wie ein Tier. Sie windet sich unter ihm,
bis er ihr Gesicht gegen die dreckverkrusteten Planken schlägt. Die anderen
kriechen auf mich zu, geduckt und lauernd. Schwankend erhebt sich eine sechste
Gestalt. Sie zuckt wie eine Marionette an Schnüren. Dann geben ihre Gelenke
nach, und sie kann sich nicht mehr auf

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