White Horse
Spareribs sein, vor der die Leute immer Schlange stehen. Niemand weià etwas Genaues. Fest steht nur, dass sämtliche Katzen verschwunden
sind und selbst dann nicht wieder auftauchen, wenn ihre Besitzer mit einem
Löffel in der Futterdose klappern.
Andererseits gibt es mich. Gesund. Körperlich gesund. Keine Spur von
Brechreiz. Müsste ich nicht auch tot sein?
Mit zitternden Händen blättere ich in einer Zeitschrift. Kauf mich, und dein Leben wird schöner, wispern
verführerisch aufgemachte Anzeigen.
Irgendwo in der Ferne verkündet ein Rettungswagen, dass er sich auf
dem Weg hierher befindet. Ich male mir aus, wie er durch die StraÃen der groÃen
Stadt schieÃt, bis er sich seinem Ziel nähert und dann das Tempo drosselt, um
von einer Adresse zur nächsten zu schleichen. Nicht du,
nicht du, nein, du auch nicht. Okay, da sind wir. Gefunden. Bis das erbarmungslose
Sirenengeheul mit einem Mal abbricht. Die plötzliche Stille hinterlässt eine
Leere in meinem Herzen, die ich so rasch wie möglich aufzufüllen versuche, denn
die Sirene ist in meiner StraÃe verstummt, vor meinem Haus, an meinen
Eingangsstufen. Ich stelle mir vor, wie jetzt Mo, der Nachtportier, sein Readerâs Digest beiseiteschiebt, das er immer offen auf dem
Schoà liegen hat, während er Nick At Nite guckt, wie er langsam zum Eingang
schlurft, die Tür einen Spalt öffnet und fragt: »Was kann ich für Sie tun?«
Blut rauscht in meinen Ohren. Sie fühlen sich heià an, was mich
verwundert, da ich am ganzen Körper zittere.
Neugier schlängelt sich an meiner Angst vorbei. Wer ist tot? Ich
muss das in Erfahrung bringen. Ich schnappe mir Schlüssel und Handy und jage
die Treppe hinunter. Meine FüÃe sind noch schneller als mein Herzschlag. Als
ich die Tür zur Eingangshalle aufstoÃe, wird mir klar, wie ich auf andere Leute
wirken muss: eine Frau mit wirrem Blick, die allem Anschein nach so übergeschnappt
ist, dass sie im Schlafanzug durch die Gegend läuft und es nicht der Mühe wert
findet, Schuhe oder einen Mantel anzuziehen.
Mo sitzt bereits wieder hinter seinem Tresen, das Buch auf dem SchoÃ
und die ganze Aufmerksamkeit dem kleinen Bildschirm zugewandt. Der Krankenwagen
steht am Bordstein und versperrt die Sicht nach drauÃen.
»Miss Marshall«, sagt er. »Was kann ich für Sie â¦Â«
Ich schlage mit der flachen Hand auf den Tresen. »Zu wem kommen
die?«
»Wer?«
Ich würde ihn am liebsten an den Schultern packen und schütteln, um
ihn zum Reden zu bringen.
»Die Sanitäter, die vor dem Haus parken. Zu wem kommen die?«
Er setzt sich aufrecht hin, stöhnt leise und greift nach dem Buch
mit dem Ledereinband, in das er die Namen der Besucher einschreibt. Sein
klobiger, tintenverschmierter Finger fährt umständlich die Liste entlang, bis
er beim letzten Eintrag angelangt ist. Dann räuspert er sich.
»Zu Mrs Sark auf siebzig-zehn.«
Die Frau mit den vier Katzen, von denen lediglich eine angemeldet
ist. Meine Fingernägel sind so kurz geschnitten, dass nur ein gedämpftes
Tapp-Tapp zu hören ist, als ich auf dem polierten Tresen herumtrommle. Ich muss
irgendetwas tun, um nicht laut zu schreien. Und schreien will ich auf gar
keinen Fall.
»Was fehlt ihr denn?«
Er zuckt die Achseln. »Wer wei� In jüngster Zeit leiden so viele
Leute unter diesem Brechreiz. Porkchop hat mir erzählt, dass der Jones-Bengel
letzte Woche die ganze Tür verkotzt hat. Schade um sein leckeres Sandwich.«
Porkchop ist der Tagportier und heiÃt eigentlich Jimmy Bacon.
Ein hartes Klopfen an der Glastür beendet unsere Unterhaltung.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragt Mo, nachdem er sich endlich von
seinem Stuhl gehievt und an die Tür begeben hat. Die Antwort scheint ihn
zufriedenzustellen, denn er sperrt auf, und die beiden Bullen, die keine Bullen
sind, treten ein. Ben ist immer noch tot, liegt mir
auf der Zunge, als sie mich fragend ansehen.
Sie nehmen den Lift, und als sie wieder nach unten kommen, befinden
sich zwei Sanitäter und Mrs Sark in ihrer Begleitung. Zumindest glaube ich,
dass es Mrs Sark ist, obwohl das durch den dichten gelben Leichensack nicht zu
erkennen ist.
»Ich schätze, siebzig-zehn ist ab sofort wieder zu haben.« Mo
seufzt, als sei das der Untergang seiner kleinen Welt. »Ein Haufen mehr Arbeit,
wenn jetzt die Wohnungssuchenden kommen.«
NEUN
ZEIT:
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