Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
doch? Wieder einmal betrachtete ich ihren fülliger gewordenen Körper. Ich hatte der Tatsache, dass sie die Pille nahm, so gern vertraut. Hätte ich es merken müssen trotz Svenjas Beteuerungen, dass alles in Ordnung sei?
Natürlich hättest du, aber du warst ja mit dir beschäftigt.
Wieder zog Svenja sich unter einem Krampf zusammen.
Ich sah auf die Uhr. „Die Wehen kommen alle fünf Minuten, wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Falk zog sein Handy und wählte die 112. „Hoffentlich sind wir hier nicht in einem Funkloch!“ Dann verließ er den Raum, um auf den Rettungswagen zu warten.
Währenddessen zeigte sich auf Svenjas Laken ein hellrosa Fleck. „Jetzt hab ich auch noch ins Bett gemacht“, jammerte sie.
„Die Fruchtblase ist geplatzt, auch das noch!“ Hektisch begann ich auf dem nassen Laken herumzuwischen und musste mich zusammenreißen, um nicht zu schreien. „Wie es aussieht, will dein Baby jetzt geboren werden.“
„Jetzt?“ Mit großen Augen starrte sie mich an. „Aber ich kann doch hier im Hotel kein Baby bekommen!“
„Ich fürchte, das spielt jetzt keine Rolle mehr.“ Meine Stimme überschlug sich, der Puls raste, keine Spur mehr von elterlicher Ruhe. Hektisch sprang ich auf, packte ein paar verstreute Habseligkeiten meiner Tochter in die Tasche, massierte Svenja zwischendurch den Rücken und versuchte, weder in Tränen noch in Vorwürfe auszubrechen, dazu war später noch Zeit.
In der Ferne war das Martinshorn zu hören. Ich schob den Vorhang beiseite und schaute zu, wie die Retter ins Haus eilten.
Der Notarzt, ein netter Mann mit dunklen Augen und Schnurrbart, stellte sich als Dr. Müller vor.
„Das ist meine Tochter, Svenja Becker. Anscheinend hat sie Wehen“, gab ich mein frisch erworbenes Wissen weiter. „Sie kommen im Abstand von fünf Minuten und die Fruchtblase ist auch schon geplatzt. Mehr weiß ich nicht, habe es selber eben erst erfahren.“ So, jetzt war es heraus. Hatte ich etwas vergessen? „Ach so, ja: Svenja ist erst fünfzehn.“
Der Arzt drehte sich kurz zu mir herum und lächelte. „Offensichtlich eine überraschte Oma, oder?“ Er zwinkerte mir zu und erklärte: „Keine Sorge, dies ist nicht unsere erste Teenager-Schwangerschaft, Frau … Wie war doch gleich ihr Name?“ Sein Begleiter zückte Block und Kugelschreiber.
„Becker. Yvonne Grünberg-Becker aus Mülheim an der Ruhr“, rasselte ich herunter. „Ich kann Ihnen meine Krankenkassenkarte geben, Svenjas habe ich nicht dabei.“ Hatte ich überhaupt irgendetwas dabei, was wichtig war?
Während Dr. Müller meine Tochter untersuchte, stellte der Assistent weitere Fragen. Einiges schrieb er auf, anderes quittierte er mit einem Kopfnicken. „Und wieso liegt Ihre Tochter in einem Hotelzimmer in Velbert statt in Mülheim auf der Entbindungsstation?“
„Gute Frage, nächste Frage“, antwortete ich und wischte eine Träne fort. Was sollte jetzt aus uns werden? Ich konnte ja schon für mich und Svenja kaum sorgen, geschweige denn für ein Baby …
„Das würde ich auch gern wissen“, wich ich aus und starrte Svenja an, die aber bloß wieder zu weinen begann und den Kopf zur Seite drehte.
Die blauweiß gekleideten Retter redeten kurz miteinander und teilten uns dann mit, dass sie Svenja vorsichtshalber in ein Krankenhaus mit Kinder-Intensivstation bringen wollten.
„Reine Vorsichtsmaßnahme“, erklärte Dr. Müller, „minderjährige Mütter gelten grundsätzlich als Risikoschwangerschaften. Leider ist im Wagen nicht genug Platz für Sie und Ihren Mann, da wir den Notarzt dabei haben. Sind Sie mobil?“
Mein Gesicht sprach wohl Bände, denn Falk trat jetzt vor, legte mir beruhigend die Hände auf die Schultern und bejahte mit einem Nicken. „Ich fahre hinterher. Wo bringen Sie sie hin?“
„Nach Essen.“
„Mama …“, jammerte Svenja.
Ich beugte mich zu der Trage, auf die man sie geschnallt hatte, und strich ihr durch das verschwitzte Haar. „Ich komme nach, so schnell ich kann!“
Wie blass sie war! Auf dem weißen Laken sah sie aus wie ein Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war. Wo war das starke, aufmüpfige, besserwisserische und altkluge Mädchen geblieben, mit dem ich in den letzten Jahren Wohnung und Alltag geteilt hatte?
„Komm“, sagte Falk und zog mich mit sanfter Gewalt zur Tür. „Wir sollten uns beeilen, schließlich haben wir kein Blaulicht.“
Ich nickte und ließ mich widerwillig abführen. Nur jetzt keinen Heulkrampf kriegen! Svenja war gerettet, das allein
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