Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
soll dieses Kauderwelsch?« zischte Molasar. »Eine Beschwörung? Willst du mich vertreiben?« Erneut näherte er sich dem Rollstuhl. »Hast du dich etwa mit den Deutschen verbündet?«
»Nein!« brachte Cuza hervor, bevor seine Stimme versagte. Hinter der Stirn des alten Mannes herrschte das reinste Chaos, und seine Hände schlossen sich krampfhaft um die Armlehnen. Ein Alptraum! Der Untote geriet geradezu in Panik, wenn er das Kreuz sah und den Namen Jesus Christus hörte. Doch die Worte des Kaddisch, des jüdischen Gebets für die Toten, blieben ohne jede Wirkung auf ihn. Diese Erkenntnis war für den Professor ein Schock.
Molasar achtete nicht auf die Bestürzung des Menschen und sprach weiter. Cuza versuchte, sich auf die Ausführungen des Schattenwesens zu konzentrieren. Vielleicht hing Magdas Leben davon ab. Und auch sein eigenes.
»Meine Kraft wächst ständig. Ich fühle, wie sie in mich zurückkehrt. Es wird nicht mehr lange dauern – höchstens noch zwei Nächte –, bis ich die Macht habe, mein Heim vom Fluch der Eindringlinge zu befreien.«
Cuza gab sich alle Mühe, die Bedeutung dieser Bemerkungen in sich aufzunehmen. Kraft. Höchstens noch zwei Nächte. Mein Heim vom Fluch der Eindringlinge zu befrei en. Gleichzeitig raunte eine Stimme in ihm: Yitgadal … veyitkadash shemei …
Dann vernahm er das Geräusch schwerer Schritte, die sich über die Treppe des Wachturms näherten. Deutsche Stimmen, voller Zorn.
Molasar grinste wie ein hungriger Wolf. »Offenbar haben die Soldaten ihre beiden toten Kameraden gefunden.«
»Und jetzt kommen sie, um mir die Schuld daran zu geben«, stieß Cuza hervor und erwachte aus seiner verwirrten Benommenheit.
»Du bist ein gescheiter Mann«, meinte Molasar, trat an die Wand heran und gab der steinernen Platte des Zugangs einen Stoß. Sie schwang sofort auf. »Benutz deinen Verstand.«
Cuza beobachtete, wie der Untote in den dunklen Schatten der Nische verschwand, und wünschte sich, ihm folgen zu können. Als sich die Wandöffnung wieder schloß, drehte der alte Mann den Rollstuhl zum Tisch herum und beugte sich über das Al Azif .
Er brauchte nicht lange zu warten.
Kämpffer stürmte herein.
»Jude!« donnerte er, richtete anklagend den Zeigefinger auf Cuza und blieb breitbeinig stehen. »Sie haben versagt, Jude!«
Cuza sah den Sturmbannführer stumm an und fragte sich, was er antworten sollte. Er fühlte sich leer, wie ausgehöhlt. Seine Glieder schmerzten, jeder einzelne Knochen und jeder schwache Muskel in seinem ausgemergelten Körper tat weh. Und die Begegnung mit Molasar hatte seine Gedanken betäubt.
»Haben Sie mich gehört, Jude?« brüllte Kämpffer aus vollem Halse.
Eine andere Stimme erklang. »Er weiß nicht einmal, wovon Sie reden.«
Wörmann trat ein. Cuza erkannte einen gewissen Anstand in dem Wehrmacht-Major, so etwas wie Ehrgefühl – charakterliche Qualitäten, die ihn bei einem deutschen Offizier überraschten.
»Er wird es sofort erfahren!« Mit zwei langen Schritten war Kämpffer bei dem Rollstuhl und beugte sich vor, bis ihn nur noch wenige Zentimeter vom faltigen Gesicht des alten Mannes trennten.
»Was ist los, Sturmbannführer?« fragte Cuza. Er stellte sich unwissend. »Was habe ich getan?«
»Sie haben nichts getan, Jude! Genau darin besteht das Problem. Seit zwei Nächten lesen Sie in den alten Büchern und lassen sich dafür danken, daß es zu keinen Todesfällen mehr gekommen ist. Aber heute nacht …«
»Ich habe nie behauptet …«, begann der Professor. Kämpffer unterbrach ihn, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug.
» Schweigen Sie! Heute nacht sind zwei meiner Männer ums Leben gekommen. Man hat sie im Keller mit zerfetzten Kehlen gefunden!«
Cuza erinnerte sich an die Leichen der anderen Soldaten und wußte, was geschehen war. Mit nicht unbeträchtlicher Genugtuung stellte er sich die zerrissenen Hälse der beiden Männer vor: Sie hatten versucht, seine Tochter zu vergewaltigen, und verdienten den Tod.
Dann besann er sich wieder auf die Gefahr, in der er selbst schwebte. Der in den Augen des Sturmbannführers blitzende Zorn gemahnte zur Vorsicht. Noch zwei Nächte, dachte er. Dann ist Molasar stark genug. Nur noch zwei Nächte. Ich muß irgendwie bis Samstag überleben.
»Inzwischen dürfte klar sein, daß Sie den unbekannten Mörder nicht daran hindern können zuzuschlagen«, knurrte Kämpffer. »Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Ihrer Ankunft und den beiden ereignislosen Nächten. Das war nur ein
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