Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
auch wenn das abgedroschen klang. Aber Carol … selbst Geld konnte ihr nicht das kaufen, was sie brauchte und was sie am meisten begehrte.
»Und selbst wenn wir keine eigenen bekommen«, sagte er, »dann haben die hier haufenweise Kinder zur Auswahl.«
Sie nickte nur abwesend.
»Aber wenigstens kannst du diesen Job im Krankenhaus an den Nagel hängen, wenn der dich so fertig macht.«
Sie lächelte ihn schelmisch an. »Mach dir keine zu großen Hoffnungen. Bei dem Glück, das wir haben, stehen da noch tausend andere illegitime ›Söhne‹ bei der Testamentseröffnung und wollen ihren Anteil.«
Jim lachte. Das war Carols irische Seite: Für jeden Hoffnungsschimmer gab es auch eine Wolke, die immer dunkel und bedrohlich war.
»Es ist nett von Bill, dass er für uns die Akten durchforstet«, sagte sie nach einer Weile. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir seine Ordination und das alles verpasst haben.«
»Du hattest eine Blinddarmentzündung, um Himmels willen.«
»Du weißt das und ich weiß es, aber weiß er es auch? Ich meine, schließlich kennt er deine Ansichten über Religion, da könnte er doch meinen, wir hätten uns eine Ausrede ausgedacht, damit wir nicht kommen und zusehen müssen, wie er zum Priester geweiht wird. Vielleicht haben wir ihn verletzt. Schließlich haben wir ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Er weiß, dass das nicht stimmt. Das sind nur deine irischen Schuldgefühle.«
»Sei nicht albern!«
Jim lächelte. »Es stimmt. Auch wenn du damals im Krankenhaus gelegen hast, fühltest du dich trotzdem höllisch schuldig, weil du nicht bei der Messe warst.«
»Sehr nette Assoziation!«
5.
Bill hastete in das Gesprächszimmer zurück und fragte sich dabei, warum er es so eilig hatte. Er hatte den beiden nichts zu berichten. Es hatte zwar nur etwa eine Stunde gedauert, aber er war sicher, er hatte alles gefunden, was es da zu finden gab.
Lag es an Carol?
Sie sah gut aus, wirklich gut. Ihre Haare waren länger und glatter, ihr Gesicht war jedoch noch genau wie früher, die gleiche schmale, hochgereckte Nase, die dünnen Lippen, das feine, sandfarbene Haar, die gleiche gesunde Gesichtsfarbe.
Hatte er es so eilig, sie wiederzusehen? Unwahrscheinlich. Sie war eine jugendliche Schwärmerei gewesen, eine Phase in seiner Entwicklung. Das war mittlerweile vorbei und erledigt.
Warum also dieses drängende Gefühl, wieder dahin zu kommen, wo sie wartete?
Als er den kleinen Besprechungsraum betrat, schob er die Frage beiseite. Er würde später darüber nachdenken.
»Entschuldigung«, sagte er und ließ sich auf einen der Stühle fallen. »Ich konnte nichts finden.«
Jim hieb sich mit der Faust auf den Schenkel. »Verdammt! Bist du sicher?«
»Ich habe ungefähr drei Jahre vor dem Datum deiner Auffindung mit der Suche begonnen und bin seitdem jedes Jahr durchgegangen. Der Name Hanley taucht nicht ein einziges Mal auf.«
Jim war offenkundig nicht zufrieden. Bill konnte sich denken, was ihm durch den Kopf ging. Er suchte offensichtlich nach einer höflichen Umschreibung der Frage, wie gründlich jemand in weniger als einer Stunde die Akten von drei Jahrzehnten durchkämmen kann.
»Das sind verdammt viele Jahre, Bill. Ich frage mich nur …«
Bill lächelte. »Eine Menge Zeit, aber nicht sehr viele Spenden, fürchte ich. Der Name Hanley taucht weder irgendwo im Index noch bei unseren Kontaktadressen auf.« Als er sah, wie Jim die Schultern hängen ließ, fügte er hinzu, »Aber …«
»Aber was?«
»Nur zehn Tage, nachdem du hier ausgesetzt worden bist, erhielt St. Francis eine anonyme Spende über zehntausend Dollar. Das war damals eine enorme Summe.«
»Heutzutage ist das auch kein Pappenstiel«, sagte Jim und wurde wieder eifrig. »Also anonym? Ist so etwas üblich?«
»Soll das ein Witz sein? Auch heute kriegen wir manchmal fünfundzwanzig oder fünfzig, ganz selten mal hundert Dollar als anonyme Spenden. Aber eigentlich will so gut wie jeder eine Spendenbescheinigung für das Finanzamt haben. Eine Spende in fünfstelliger Höhe, die nicht von der Steuer abgesetzt wird, ist etwas, von dem ich noch nie gehört habe.«
»Schuldgeld«, sagte Jim.
Bill nickte. »Da fühlte sich jemand sehr schuldig.«
Er blickte zu Carol hinüber und ertappte sie dabei, dass sie ihn anstarrte. Warum sah sie ihn auf diese Weise an? Es war ihm unangenehm.
In diesem Moment blieb ein Postbote, der durch die Eingangshalle kam, vor der Tür stehen. Er hielt einen Briefumschlag hoch. »Würden
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