Wie Blueten Am Fluss
dessen, was er riskierte, wenn er Roxannes Erwartungen abermals enttäuschte,
war er eigentlich vor allem an Bord der London Pride gegangen, um sich seine eigene Freiheit
zurückzukaufen und sein Leben in andere Bahnen zu lenken als die, die sie ihm vorgezeichnet hatte.
Er hatte von Anfang an damit gerechnet, daß Roxanne Mühe haben würde, seinen Kauf einer
Vertragsarbeiterin zu akzeptieren. Zweifellos war ihrer Auffassung nach jede Frau, die er kaufte, nur
ein weiterer Eindringling - vielleicht auf dieselbe Weise, in der sie Victoria als Eindringling betrachtet hatte. So traurig es war, Roxanne hatte seine Erwartungen buchstabengetreu erfüllt.
Mit Hugh Corbin lagen die Dinge ähnlich schwierig, und Gage wußte, daß es nicht unter der Würde
des Mannes lag, Shemaines Gegenwart als Vorwand zu benutzen, um einen Streit mit ihm vom Zaun
zu brechen. »In den acht oder neun Jahren, die ich den Mann nun kenne«, überlegte Gage mit einem
Seitenblick auf Shemaine laut, »war Hugh Corbin mürrisch und streitsüchtig, aber in letzter Zeit ist er beinahe unerträglich geworden, ungefähr genauso bösartig und übellaunig wie der alte Einohr. Er nimmt sich mit seinen Beleidigungen jede erdenkliche Freiheit und scheint sich schier zu
überschlagen, um mich zu provozieren, vor allem, wenn ich meine Familie dabeihabe oder, wie ich
heute abend erlebt habe - dich. Einmal, das ist noch gar nicht so lange her, habe ich ihn dabei erwischt, wie er Andrew mit einem
seltsamen, gehetzten Blick in den Augen beobachtete. Dieser Blick hat mich beträchtlich aus der Ruhe
gebracht. Ich weiß nicht, wozu dieser Mann möglicherweise fähig wäre... wenn er seinen Haß jemals
an einem kleinen Kind ausließe. Sein Benehmen hat mir jedenfalls angst gemacht. In der
Vergangenheit hat Roxanne mich mehrmals gebeten, Andrew mit nach Hause nehmen zu dürfen,
damit er die Nacht dort verbrachte, aber ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, dem
zuzustimmen. Ich wagte es nicht, ihrem Vater zu vertrauen.«
»Mrs. McGee hat mir erzählt, daß Mr. Corbin sich einen eigenen Sohn wünschte«, erwiderte
Shemaine leise. »Der einzige Sohn, den er je gezeugt hat, kam vier Jahre vor Roxannes Geburt tot zur
Welt. Wenn er Sie mit Andrew sieht, fühlt Mr. Corbin sich vielleicht an sein eigenes Unvermögen
erinnert, einen Sohn zu zeugen. Möglicherweise ist es einfach Neid, was er für Sie empfindet, und
nicht Haß.«
Der heiße Zorn, der sich in der vergangenen Stunde auf Gages Gemüt geschlagen hatte, begann sich
langsam aufzulösen, während er nun über ihre Vermutung nachdachte. Aus seinen früheren
Erfahrungen mit dem Schmied ließ sich durchaus der Schluß ziehen, daß sie mit ihrer Annahme richtig
lag. Obwohl er den zänkischen Mann und seine neunzehnjährige Tochter kurz nach seiner Ankunft in
den Kolonien kennengelernt hatte, brachte Corbin ihm doch erst seit zwei Jahren eine solch tiefe
Abneigung entgegen.
Gage schüttelte entgeistert den Kopf und war ärgerlich auf sich selbst, daß ihm dieser Gedanke nicht
schon früher gekommen war. Da mußte erst ein Mädchen daherkommen, das noch keine zwanzig war,
um ihn auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Ihr Scharfblick verblüffte ihn. »Du durchschaust die Dinge
schnell. Viel schneller jedenfalls als ich. Ich habe nie begriffen, warum Hugh plötzlich so eine
Abneigung gegen mich gefaßt hatte.«
»Vielleicht waren Sie der Situation zu nahe, um seine Eifersucht als solche zu erkennen«, meinte sie
und blickte zu ihm auf. Was sie sah, wärmte ihr das Herz beträchtlich. Seine Miene war weicher
geworden, und auf seinen Lippen stand jetzt der Anflug eines Lächelns. Er wandte sich zu ihr um, und
sie hielt den Atem an, als
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seine Augen ihr Gesicht liebkosten. Dann wanderte sein Blick hinab zu dem kleinen Kopf, der an ihrer
Brust ruhte.
»Deine Arme müssen langsam lahm werden.« Gage umfaßte die Zügel mit der einen Hand, hob den
freien Arm und legte ihn auf die Rücklehne des Sitzes hinter ihr, wobei er jedoch bedachtsam den
Fehler vermied, sie zu berühren und damit so zu erschrecken, daß sie von ihm weiter Abstand hielt.
»Warum rückst du nicht etwas näher zu mir und legst Andrews Kopf auf meinen Schoß? Dann
brauchst du ihn nicht die ganze Zeit im Arm zu halten und hast es etwas bequemer.«
Shemaine war mehr als willens, ihre verkrampften Muskeln ein wenig zu entspannen, aber als sie
versuchte, sich zu bewegen, mußte sie feststellen, daß sie nicht
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