Wie Blueten Am Fluss
leider nicht vergessen. Ausnahmsweise einmal ließ er sich von
seinem besseren Wissen leiten, obwohl beißender Zorn in ihm gärte.
Hugh humpelte mit Hilfe seiner Krücken zur Veranda zurück und setzte sich unbeholfen auf die Kante
eines Stuhls. Von diesem Aussichtspunkt aus konnte er Wache halten, bis das Pferd fertig beschlagen
war. Obwohl er niemals Grund gehabt hatte, zu glauben, Gage Thornton würde ihn je betrügen,
vertraute Hugh keinem Mann seinen Besitz an. Sobald er die Münzen bekam, die ihm zustanden,
würde er den Tischler seiner Wege schicken.
Roxanne schlenderte gemächlich zu der Stelle zurück, wo sie Gage besser sehen konnte. An einen
Pfosten gestützt, betrachtete sie sein dem Hof zugewandtes Gesicht über den glühenden Kohlen und
stellte staunend fest, daß sie sich noch immer danach sehnte, in dieses schöne, elegante Antlitz zu
blicken und ihm ihre Liebe zu erklären. Es brauchte nicht mehr als ein freundliches Lächeln von ihm,
um ihr Mut zu machen. Aber noch während sie seine feingemeißelten Züge bewunderte, sah Roxanne,
wie seine Brauen sich finster zusammenzogen, als ärgere er sich über ihre Anwesenheit. Dieser
Gedanke fachte ihren Zorn von neuem an. »Was wirst du jetzt tun, Gage? Gegen jeden Mann
kämpfen, der deinen Sträfling beleidigt?«
»Wenn es sein muß!« gab er scharf und ohne aufzublicken zurück.
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»Du bist ein unbelehrbarer Mann, Gage Thornton, und im Augenblick denke ich, daß du auch ein Narr
bist. Shemaine verdient deinen Schutz nicht.«
Obwohl ihre Worte ihn aufbrachten, vermied Gage es, den Blick vor ihr zu senken. »Deine Ansichten
interessieren mich nicht, Roxanne. Und sie haben mich auch nie interessiert.«
Seine Worte trafen sie mit derselben brutalen Wucht wie ein Schlag ins Gesicht, und seine
unverhohlene Gleichgültigkeit trieb Roxannes Zorn weit über das erträgliche Maß hinaus. Wie viele
Male hatte sie sich ihm während der neun Jahre ihrer Bekanntschaft mit aller erdenklichen List
angeboten. Und wie viele Male hatte er sie einfach übersehen? Oder war das eine List seinerseits
gewesen? Es hatte sie schier in den Wahnsinn getrieben, ihn so heiß zu begehren und dann ein ums
andere Mal höflich abgewiesen zu werden, als könne er sie sich beim besten Willen nicht als seine
Geliebte vorstellen... oder als seine Frau. Sie glaubte nicht, daß er seiner Strafarbeiterin gegenüber auch so unempfänglich war. O nein! Mit dieser kleinen Schlampe hatte er gewiß andere Pläne!
»Du hast die Absicht, dir dieses Flittchen in dein Bett zu nehmen, nicht wahr?« begehrte Roxanne mit
gepreßter Stimme zu wissen. »Genau das wolltest du doch vom ersten Augenblick an, als du sie
gesehen hast! Von Anfang an hattest du nichts anderes im Sinn, als dich mit dieser Schlampe im Bett
zu wälzen!«
»Und wenn es so gewesen ist?« entgegnete Gage schnaubend. Langsam sah er keinen Unterschied
mehr zwischen Vater und Tochter. Obwohl er normalerweise davor zurückgeschreckt wäre, diese Frau
noch dichter an den gefährlichen Abgrund einer vollkommen unvernünftigen Eifersucht zu treiben,
entfachte er ihren Groll nun mit voller Absicht zur Weißglut. Auf die steinernen Strebepfeiler der Esse gestützt, beugte er sich noch ein Stück weiter vor, um sie mit einem grimmigen Blick zu durchbohren.
»Sag mir eins, Roxanne, geht es dich wirklich etwas an, was ich in der Abgeschiedenheit meiner Hütte
- oder was das betrifft, in meinem Bett - mit Shemaine mache?«
Roxannes Mundwinkel zogen sich zu einer häßlichen Grimasse herab, und in ihrer Kehle stieg ein
leises, beinahe gurgelndes Knur—
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ren empor. Mit dem ganzen wilden Ingrimm einer verschmähten Frau machte sich dieser erstickte
Laut schließlich in einem grauenhaften Kreischen Luft. Der Saum ihres Morgenmantels fegte um ihre
nackten Beine, als sie herumfuhr und wie ein Gespenst in der Nacht zur Hütte zurückfloh. Sie jagte an
ihrem Vater vorbei und stürmte durch den Vordereingang. Bei dem durch die Dunkelheit hallenden
Krachen der Tür, die in den Rahmen geschleudert wurde, zog Hugh Corbin den Kopf ein und schnitt
eine Grimasse, als rechne er damit, daß die Dachbalken der Veranda auf ihn herabstürzen würden.
Später, während der langen Fahrt nach Hause, saß Shemaine schweigend neben Gage auf dem
Kutschbock und hielt seinen schlafenden Sohn in den Armen. Der Mond stand mittlerweile über den
Bäumen und warf seinen silbrigen Schein auf das Land, so daß Shemaine Gages
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