Wie Blueten Am Fluss
Tee knabbern können.« Dann gab sie Andrew noch einen leichten, liebevollen
Klaps auf die Schulter und ging zur Treppe.
»Mrs. McGee...?« Der drängende Ton seiner Stimme erstaunte William einigermaßen, und er tadelte
sich dafür, daß er momentan in der Gegenwart von Frauen so unbeholfen war. Vielleicht war er aber
auch zu lange Witwer gewesen und zu ehrgeizig, was den Bau seiner Schiffe betraf. Im Grunde
genommen hatte er den größten Teil der gesellschaftlichen Formen verlernt, die Frauen bei Männern
so anziehend fanden. In den Jahren nach dem Tod seiner Gemahlin war er hart geworden, ungehobelt
und reizbar. Kein Wunder, daß es ihm schwerfiel, sich mit dem schönen Geschlecht zu unterhalten.
Mary Margaret kehrte an sein Bett zurück und blickte fragend auf ihn hinab. »Haben Sie noch einen
Wunsch, Mylord?«
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Er streifte sie mit einem schnellen, zögernden Blick, aber als er in Augen sah, die blauer waren als der Himmel selbst, wagte er es, ihren Blick festzuhalten. »Ich wüßte gern, wie es um Ihre Fähigkeiten beim Kartenspiel bestellt ist...«
Die blauen Augen blitzten, als Mary Margaret ihr kleines, energisches Kinn hob und ihn
herausfordernd ansah. »Gewiß gut genug, um es mit Ihrer Lordschaft aufzunehmen.«
William grinste und verriet denselben betörenden Charme, auf den auch sein Enkelkind sich so
meisterlich verstand. »Es ist langweilig so ganz allein hier oben. Vielleicht würden Sie, wenn Andrew
im Bett liegt, ein oder zwei Spielchen in Erwägung ziehen...?«
Mary Margaret senkte ihren eleganten weißen Schopf zu einem kaum wahrnehmbaren, anmutigen
Nicken, aber das Leuchten ihrer Augen sprach für sich. »Ein oder zwei Spielchen... vielleicht sogar
drei...«
Shemaine und Gage kamen gerade aus ihrem Schlafzimmer, als Mary Margaret vom Flur in die Küche
trat. Die ältere Dame blieb stehen, um die junge Schönheit zu betrachten, die ein Kleid aus
dunkeltürkisfarbener Seide trug - das bezauberndste Stück, das Victoria besessen hatte. Die Frau
erinnerte sich noch deutlich, wie hübsch die frühere Besitzerin darin ausgesehen hatte, aber doch nicht annähernd so atemberaubend wie die gegenwärtige. Ein schmales, türkisfarbenes Band schmückte Shemaines schlanken Hals, und an ihren Ohrläppchen hingen Perlohrringe, ein Geschenk, das Gage
seiner Braut vor noch nicht allzulanger Zeit gemacht hatte. Sie hatte ihr feuerrotes Haar unter einem
weißen Spitzenhäubchen nach oben frisiert. Einige vorwitzige Löckchen umrahmten ihr Gesicht und
verliehen der Frisur eine kokette Verspieltheit. Um die Schultern trug sie einen zu ihrem Kleid
passenden Spitzenschal.
»Was für ein schönes Paar Sie beide doch sind«, rief Mary Margaret begeistert. »Das schönste, das ich
je gesehen habe!«
Shemaine deutete einen Knicks an. »Sie sind so gütig wie immer, Mrs. McGee.«
Die Irin lachte leise auf. »Glauben Sie ja nicht, ich würde Ihnen
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den Kopf mit lügnerischen Komplimenten füllen, weil mir nichts Besseres einfiele, Schätzchen. Ich
pflege stets die Wahrheit zu sagen, vergessen Sie das nicht.«
Shemaine sank lachend zu einem noch tieferen Knicks herab. »Das werde ich nicht, Mrs. McGee, und
nochmals vielen Dank.«
Shemaine nickte ihr noch einmal fröhlich zu und lief dann die Treppe hinauf, um festzustellen, ob
William noch etwas brauchte, bevor sie und Gage gingen. Als Seine Lordschaft sie erblickte, nahm er
seine Brille ab und musterte sie ebenso aufmerksam wie anerkennend.
»Ich frage mich, ob Maurice du Mercer weiß, was ihm entgangen ist«, überlegte er laut, während sie
seine Kissen aufschüttelte.
»Ich bin mir sicher, daß Maurice mittlerweile gnadenlos mit Einladungen überhäuft wird - zweifellos
von ungezählten Eltern, die darauf brennen, eine gute Partie für ihre Tochter zu machen.
Wahrscheinlich hat er sich längst mit einer anderen jungen Dame verlobt.«
»Es fällt mir schwer, zu glauben, daß Maurice Sie so ohne weiteres vergessen haben sollte, meine
Liebe, aber sein Pech hat meinem Sohn zum Glück verholfen.«
Shemaine fühlte sich nicht in der Stimmung, über ihren früheren Verlobten zu reden, solange ihr Mann
auf sie wartete. »Stört es Sie wirklich über die Maßen, daß wir Sie mit Mrs. McGee allein lassen? Ich
versichere Ihnen, daß sie eine sehr angenehme Frau ist.«
Gegenwärtig widerstrebte es William ebensosehr, seinen Meinungsumschwung bezüglich der Witwe
zu diskutieren, wie es Shemaine widerstrebte, über den Marquis
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