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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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oder Würge hätte. Sofort umringt uns eine Schülertraube.
    Würge, weil es keine Würge gibt, antworte ich.
    Gute Antwort, sagt ein hoch gewachsener junger Mann, tritt aus der Schülerschar und baut sich vor Vukoje auf. Er überragt ihn um drei Köpfe. Zisch ab, zischt er Vukoje an, sonst macht diese meine Stirn Pudding aus dieser deinen.
    Vukoje bleibt stehen, stemmt die Hände in die Seiten. Auf seinem Nasenrücken zieht sich eine Perlenschnur Sommersprossen. Er spuckt einen dünnen Faden seitlich aus und zeigt drohend mit dem Finger auf mich. Erst, als Vukoje mit seinen Leuten langsamen Schrittes davontrottet, erkenne ich meinen Retter. Damir Kičić. Damir gilt als das größte Fußballtalent, das unsere Stadt je hervorgebracht hat, und er war sogar mal auf unserer Schule.

    Danke!, sage ich, nachdem sich auch die anderen Schüler mit enttäuschten Gesichtern auf den Nachhauseweg gemacht haben.
    Ich hätte es ja eigentlich gern gesehen, sagt Damir.
    Guhkoh, ruft Edin wie ein Kuckuck, faltet seine Hände und lässt die Knöchel knacken. Gegen uns hätte Vukoje eh keine Chance, sagt er.
    Damir, was machst du in der Stadt, ich dachte, du spielst jetzt in Sarajevo?, frage ich.
    Damir lacht. Nennt mich Kiko, sagt er.
    Kiko, stimmt das eigentlich, was die Leute erzählen? Dass du den Ball mit dem Kopf so oft wie du willst hochhalten kannst?, fragt Edin. Die übertreiben doch.
    Wir können ja wetten … Kiko kratzt sich an der Stirn, und die Wette ist eine, die wir unmöglich verlieren können. Kiko lacht, das Kügelchen unter der Haut in seinem Hals springt auf und ab, und wir schlagen ein.
     
    Sonntag, zwölf Uhr. Der Schulhof ist leer, bis auf ein Mädchen, das vorsichtig ihre ersten Runden mit dem Fahrrad dreht, von der Mutter am Sattel festgehalten.
    Edin bringt den Ball mit. Wir schießen ein paar Mal aufs Tor.
    Meinst du, er kommt?, fragt Edin.
    Klar kommt er. Hast du das Geld?
    Sommer ist, wenn der Ball aufsetzt und es so heiß ist, dass die Hitze ein Raum wird, in dem das Leder gegen den Beton klatscht und es einen Hall gibt. Wäre ich Fähigkeitenzauberer, würden Winter und Herbst zwei Feiertage sein, irgendwann im November, Frühling wäre ein anderes Wort für den April, und der Rest des Jahres hätte die Fähigkeit, Sommer zu sein, damit das Leben hallt, der Asphalt schmilzt und Mutter mir Joghurt auf meinen Sonnenbrand schmiert.
    Da ist er. Gib mal das Geld!
    Hallo, Jungs!
    Hallo!

    Ganz schön heiß, was?
    Ja.
    Habt ihr die Kohle?
    Brauchst nicht nachzählen, sage ich und reiche Kiko das Bündel. Er fährt sich mit Zeigefinger und Daumen über die Zunge und sortiert die zusammengeknüllten Scheine auf der Hand. Reicht mir seinen Einsatz. Du zähl lieber nach.
    Alles da, sage ich.
    Dann kann es ja losgehen.
    Moment! Edin hat ein Lineal in der Hand. Er legt es Kiko an den Fuß und arbeitet sich über den Unterschenkel, Oberschenkel, über die Hüfte bis zum Kopf hinauf. Dafür muss er sich schon ordentlich strecken. Die Mutter hat das Mädchen losgelassen; es schreit und fährt schlenkernd, wird langsamer und rutscht nach vorne, bremst mit den Füßen ab. Die Mutter klatscht, die Kleine zetert: du hast mich nicht gehalten, du hast mich losgelassen, schreit sie, noch mal!, will sie.
    Edin sagt: hundertzweiundneunzig.
    Seit letzte Woche vier Zentimeter gewachsen, nicht schlecht, grinst Kiko, zieht sein Hemd aus und wirft den Ball hoch. Eins, zwei, zählt Edin, drei, vier, und die Hitze ist ein schreiendes Mädchen auf einem Fahrrad, fünf, sechs, zählt er, und der Spätsommer ist eine hundertzweiundneunzig Zentimeter große Wette, sieben, acht, zählt er, und das Mädchen ruft: Mama, schau, ich fahre, ich fahre, ich kann es!, neun, zehn, zählen wir, und bei zehn beginnt Kiko zu pfeifen, elf, zwölf, er steht fast regungslos da, zieht bloß den Kopf immer ein wenig ein, kurz bevor der Ball seine Stirn berührt, bei der dreizehn köpft er ihn hoch in die Luft, sonst bringt es Unglück, ruft er, und der Ball fliegt und fliegt und Edin sagt: vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn, neunzehn, zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig, achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig, einunddreißig, zweiunddreißig, dreiunddreißig, vierunddreißig, fünfunddreißig, sechsunddreißig, siebenunddreißig, achtunddreißig,
neununddreißig, vierzig, einundvierzig, zweiundvierzig, dreiundvierzig, vierundvierzig, fünfundvierzig,

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