Wie der Vater so der Tod
ich andere Jeans an und schnappe mir ein graues Sweatshirt für Zach. In der Küche nehme ich einen der großen Müllbeutel für unsere schmutzige Kleidung. Wieder im Wäscheraum, werfe ich Zach das Sweatshirt zu. »Welche Schuhgröße hast du?«
»Dreiundvierzig.«
Müsste passen. Matt hatte nur eine Nummer größer. Ich laufe zu Matts Zimmer und öffne die Tür. »Hallo, Matt, was dagegen, dass sich Zach deine Tennisschuhe ausleiht?«, frage ich in die Leere hinein. »Ich nehme mir auch ein Paar Socken.«
Zach weiß sicher, dass die Schuhe Matt gehörten, aber er sagt nichts.
»Lass mich nur irgendwo schnell den Beutel verstauen, dann bringe ich dich nach draußen.« Der Beutel stinkt. Ich stelle ihn ganz hinten in meinen Schrank.
Als ich zum Wäscheraum zurückkehre, reinigt Zach dort mit einem Handtuch den Boden. »Danke«, sage ich.
Zehn nach fünf. Meine Unruhe wächst. Ich werfe einen Blick in die Runde, um mich zu vergewissern, dass alles so aussieht wie am Morgen.
»Du solltest besser losfahren«, sage ich.
Auf dem Weg zum Wagen mustere ich Zach in meinem für ihn zu kleinen Sweatshirt und Matts etwas zu großen Schuhen. Und diesmal sehe ich nur Zach, nicht meinen Bruder. Auch nicht den besten Freund meines Bruders, sondern meinen Freund. »Danke, dass du mich begleitet und mir geholfen hast«, sage ich.
»Kein Problem«, erwidert er. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob du hierbleiben solltest. Vielleicht kommst du besser bei deinen Großeltern unter. Oder ich frage meine Eltern …«
Zach würde sicher noch misstrauischer werden, wenn er von der Sache mit der Zigarette wüsste, die mir mein Vater in den Mund gedrückt hat. »Mach dir keine Sorgen um mich!«, sage ich, schließe die Wagentür und winke. Dann laufe ich los und bereite das Abendessen vor.
Kaum ist Dad zu Hause, fängt er schon an. »Von wem sind die Reifenspuren beim Schuppen?«
Meine Finger und Zehen brennen. Soll ich antworten: Lauren kam wegen Geschichte herüber? Am liebsten wäre mir, die Spuren auf Jack Reynolds zu schieben, der die Anzeige nicht aufgenommen hat. Aber ein Anruf würde genügen, um mich auffliegen zu lassen. Das Ticken der Kuckucksuhr markiert die verstreichenden Sekunden. Ticktack, ticktack, ticktack. »Welche Reifenspuren?«, erwidere ich nach schätzungsweise sechs Sekunden.
»Nimm mich nicht auf den Arm!«
Ich erwarte einen Schlag oder vielleicht einen Stoß. Stattdessen packt mich mein Vater am Handgelenk und zerrt mich hinter sich her. Wie ein Hochgeschwindigkeitszug rasen wir durchs Haus und durch die Tür. Wenn ein Zug schnell genug ist, sieht man die Landschaft draußen nur noch schemenhaft. Ähnlich ergeht es mir, aber die schemenhaften Bilder ziehen nicht an meinen Augen vorbei, sondern durch meinen Geist. Matt und ich im Zoo, bei Matts Lieblingstieren, den Affen. Wir beide zu Hause, wie wir affenartige Grimassen schneiden. Matt und ich in der Küche, beim Unospiel. (Dad ist arbeiten, wir müssen also keinen Anschnauzer befürchten, weil wir etwas mit einem spanischen Namen spielen.) Dann sind wir in der Schule, in der Aula. Matt steht auf der Bühne, und ich sitze im Publikum und lache laut über die Pointe, die er gerade vorgetragen hat.
Als wir den Schuppen erreichen, ist mein kleiner geistiger Film vorbei. Er endet wie immer damit, dass Matt tot auf dem Boden des Esszimmers liegt. Ich wünsche mir sehnlichst, dass der Film erneut beginnt, obwohl ich weiß, dass sich an seinem Ende nichts ändern wird.
Dad zwingt mich auf die Knie, schließt die Hand um meinen Nacken und drückt mein Gesicht ins flache Gras, als wäre ich ein Hund, der gerade im Wohnzimmer sein Geschäft erledigt hat. »Diese Reifenspuren.«
»Ich wusste nichts davon.«
»Zum Teufel auch!« Plötzlich drückt er noch stärker zu und stößt mein Gesicht auf den Boden. Der Schmerz in der Nase treibt mir Tränen in die Augen. Ich lecke mir die Lippen, um festzustellen, ob sie aufgeplatzt sind, schmecke dabei eine Mischung aus Dreck und Blut.
»Ich frage dich noch einmal: Von wem stammen diese Reifenspuren?«
Diesmal zögere ich nicht. Was auch immer geschieht, nenn Zachs Namen nicht. Auf keinen Fall. Behalt ihn unbedingt für dich. Zach darf nicht noch tiefer in die Sache hineingezogen werden. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Dad tritt mir gegen das Schienbein. Ans Knie. In den Bauch. Ich halte mir die Arme vors Gesicht, wodurch mir das Atmen schwer fällt, und kneife die Augen zu. Erneut sehe ich Bilder, und diesmal
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