Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
zählen? Wenn ich Ruplu helfen konnte, würde er mir einen gerechten Anteil von seinem Gewinn abgeben, das wusste ich. Ich konnte eine Art Teilhaber werden.
Mir schwirrte der Kopf von den Erlebnissen der letzten vierundzwanzig Stunden. Ich fühlte mich gleichzeitig großartig und kaputt, ausgelutscht und aufgekratzt. Bilder von Ange unter der Dusche vermischten sich mit Erinnerungen an den Priester, der mir auf einem Deckel etwas zu essen hingehalten hatte. Und die Blutlache am Fenster, wo Amos tot zusammengebrochen war, verschwand plötzlich hinter eine Vielzahl neuer Möglichkeiten. Ich musste mein Glück beim Schopf packen, und zum Teufel mit der Vorstellung, das könnte selbstsüchtig sein, nur weil alle anderen litten. Leid gab es schließlich immer.
3
Rockstar
Winter 2027
(DreiJahresp ƒ ter)
Auf dem Pulaski Square drängten sich ungewöhnlich viele Teenager und junge Leute. Wie sie so ziellos über die Rasenflächen und die Wege mit dem Ziegelpflaster schlenderten, erinnerten sie mich an Tauben– als hofften sie, etwas Interessantes zu finden, eine Pizzarinde vielleicht oder ein paar verstreute Erdnussflips.
» Glaubst du, sie kommt?«, fragte ein aknegeplagter Junge durch eine neonlila Virusmaske.
Sein Freund hatte sich kohlschwarze Streifen über und unter die Augen gemalt, passend zu seiner schwarzen Maske– war das der neueste Scheiß der völlig sinnfreien Teenie-Mode? Er zuckte die Achseln.
» Wer soll denn da kommen?«, fragte ich.
» Deirdre«, sagte der Junge mit den pechschwarzen Streifen. Er zog ein Päckchen Zigaretten aus seiner Ärmeltasche.
» Und wer ist Deirdre?«
» Eine Flash-Sängerin. Die Beste.« Er zündete sich eine Zigarette an, schob seine Maske auf die Stirn hoch, zog einmal und paffte den Qualm betont cool in das über ihm hängende Spanische Moos. » Alle reden davon, dass hier gleich ein Flash-Konzert losgehen soll.«
» Ach so.« Darauf konnte ich eigentlich verzichten. Ich nickte, die coolen Typen nickten zurück, und ich schob mich weiter durchs Gedränge.
» Jasper!«
Ich drehte mich um. » Cortez!« Ich kämpfte mich zu ihm durch und schloss ihn in die Arme. » Mensch, ist ja nicht zu fassen! Hab gar nicht gewusst, dass du wieder in der Stadt bist.«
» Ja, schon seit ungefähr sechs Monaten.« Cortez schlug mir auf die Schulter. Er trug ein schwarzes T-Shirt und schwarze Pluderhosen, und sein Kopf war kahl geschoren.
Cortez wohnte bei seinem Vater und kriegte gelegentlich Jobs im Sicherheitsdienst– meistens Aushilfsjobs als Leibwächter für Möchtegern-Reiche, die ihre Freundinnen beeindrucken wollten. Auch jetzt war er im Dienst, wie sich herausstellte: als Wachmann bei dem Flash-Konzert, das tatsächlich gleich stattfinden sollte.
Auf der Westseite des Platzes wurde das Grummeln der Menschenmenge lauter.
» Ich muss los«, sagte Cortez. » Bleib in der Nähe, lass uns nachher ein Bier trinken gehen.«
Also blieb ich.
Eine Gruppe von Kids skandierte » Deirdre, Deirdre«. Der Sprechgesang breitete sich aus, wurde lauter. Auf der anderen Seite des Parks teilte sich die Menge, und da war die Sängerin, umgeben von schwarz gekleideten Männern. Alles jubelte.
Deirdre war klein, fast wie ein Kind. Sechs oder sieben pinkfarbene Halsringe betonten ihren Schwanenhals, und ein schwarzes, hautenges Trikot brachte ihre unverhältnismäßig großen Brüste zur Geltung. Sie hatte leichte Glupschaugen, und ihre vollen Lippen formten ein begeistertes » O«. Zweifellos gehörte sie zu den Frauen, die umwerfend sexy sind, aber eigentlich nicht besonders hübsch.
Die Bühne bestand aus Kanthölzern, die auf Getränkekisten gelegt wurden. Deirdres Roadies schleppten alles heran, samt Verstärkern, tragbaren Scheinwerfern und einem Generator. Während sie aufbauten, wanderte Deirdre mit gesenktem Blick auf und ab.
Es gab keine Einleitung oder Ähnliches. Die Verstärker quäkten, ein paar Leute jubelten, und Deirdre sprang auf die kleine Bühne und legte los.
Und wie sie loslegte!
Nicht, dass sie eine wahnsinnig tolle Sängerin gewesen wäre, auch wenn sie eine ganz passable Stimme hatte– nein, ihre Energie war es, die das Publikum in Bann schlug. Deirdres Stimme war so unglaublich laut, so viel rohe Kraft war dahinter, dass man ständig erwartete, ihre Glupschaugen würden gleich explodieren. Sie flog über die Bühne, sprang, wirbelte, tanzte. Ihre winzige, kraftstrotzende Gestalt schien der Schwerkraft zu entfliehen.
Ihre Songs waren voller Wut und
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