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Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Titel: Wie die Welt endet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will McIntosh
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gegenüber, dann rutschte er daran herunter, bis er saß. Sein Kopf hing zwischen seinen Knien, und er schniefte.
    Was hatten wir getan? Wir hatten Tara Cohn erschossen, die im Biologieunterricht vor mir gesessen hatte. Und wofür? Warum? Sie hatte zu Cortez gesagt, er nerve sie, gerade so, als hätte er ihr die letzten Pommes Frites weggeschnappt oder so was.
    » Vielleicht kommt sie ja durch, das wissen wir nicht«, sagte Cortez. Vom Weinen war seine Stimme ganz rau.
    » Sie kommt nicht durch«, sagte ich.
    Ich drehte mich um und schaute aus dem Gässchen hinaus auf den einen Block weit entfernten Platz, auf das Spanische Moos, das von den Ästen der Eichen herabhing, auf das Mondlicht, das hindurchfiel. » Ich glaube, ich muss eine Weile allein sein. Kommst du klar?«
    Cortez nickte. » Entschuldige, dass ich dich da mit reingerissen habe. Es tut mir wirklich leid.«
    » Ich weiß.« Aber ich konnte ihm nicht in die Augen sehen und ging weg.
    Ich wanderte bis zum Morgengrauen. Ich wollte nicht nach Hause und berichten müssen, was geschehen war, während Colin und Jeannie mir ins Gesicht sahen. Als der Morgen kam, hatte ich aufgehört zu weinen, aber ich fühlte mich innerlich immer noch so angespannt, dass es mir schwerfiel, richtig Atem zu holen.
    Ich ertappte mich dabei, dass ich über die anderen Morde nachdachte, als wir die Männer erstochen hatten, die Ange vergewaltigen wollten. Das war eher zu rechtfertigen gewesen– es hatte fast etwas Ritterliches gehabt, auch wenn wir uns dabei keineswegs wie Ritter gefühlt hatten. Manchmal hatte ich immer noch Albträume davon, trotzdem hatte ich diese Tat nie bereut. Doch Taras Tod würde ich bis an mein Lebensende bereuen.
    Ich gelangte zum Madison Square. Die primitive Sippe brach gerade ihr Lager ab. Das junge Mädchen winkte, als sie mich sah. Mir wurde klar, dass ich sie nicht mal nach ihrem Namen gefragt hatte, als wäre sie ein Tier, das so viel Höflichkeit nicht wert war. An diesem Morgen wirkte sie stark und sicher, als sei sie diejenige, die auf dem richtigen Weg war, die wusste, wie man lebte, und als habe ich keine Ahnung. » Ich weiß deinen Namen nicht«, sagte ich und versuchte zu lächeln.
    » Bird«, antwortete sie.
    » Jasper.«
    » Ich mag dich«, sagte Bird und schaute zu Boden wie eine Fünfzehnjährige, die verknallt ist. Vielleicht war sie tatsächlich erst fünfzehn? Doch ich vermutete, dass sie eher zwanzig war. Es tat gut, dass sie mir gerade jetzt etwas Nettes sagte.
    » Ich mag dich auch.« Ich zwinkerte Tränen fort.
    » Dann komm doch mit.«
    » Ich kann nicht.« Sie nickte und ließ enttäuscht die Schultern hängen.
    Doch dann wurde mir klar, dass ich durchaus mitgehen konnte, wenn ich wollte. Ich stellte mir vor, wie ich durch den Bambus wanderte, Kräuter und Wurzeln suchte, unter den Sternen schlief– und vielleicht nicht allein schlief. Das wäre schön. Warum konnte ich nicht einfach ein oder zwei Wochen oder vielleicht einen Monat verschwinden? Keine Schusswaffen, keine Viren, nichts, worüber ich nachdenken musste. Das Leben eines edlen Wilden. Der Drang zu fliehen, aus der Großstadt herauszukommen, war überwältigend.
    » Könnte ich für eine Weile mitkommen, vielleicht für ein paar Wochen? Ich kann nicht für immer hier weg.« Ich kannte die Gepflogenheiten dieser Menschen nicht, und ich wollte Bird nicht fälschlicherweise den Eindruck vermitteln, dass wir heiraten würden oder so.
    Sie zuckte die Achseln. » Klar.«
    » Würden sie mich mitgehen lassen?«
    » Wer würde dich mitgehen lassen?«
    » Deine… Leute. Wen muss ich fragen?«
    Wieder zuckte Bird die Achseln. Sie blinzelte. » Warum solltest du jemanden fragen müssen?«
    Es gab keinen Anführer. Was für ein erfrischender Gedanke.
    Zwei nackte Kinder rannten kichernd zwischen uns hindurch, sie spielten Fangen.
    » Ich würde gerne eine Zeit lang mitgehen«, sagte ich. Bird jauchzte vor Begeisterung und machte ein paar Luftsprünge.
    » Aber ich muss noch ein paar Sachen holen. Dann treffen wir uns hier?«
    Sie zeigte auf den Boden. » Genau hier.«
    » Schön.« Ich lief die Whitaker Street hinauf zur East Jones Street.
    Colin gärtnerte auf dem Dach. Ich erklärte ihm, ich würde mit der Sippe auf dem Madison Square eine größere Kräuter-Exkursion machen und wäre vielleicht ein paar Wochen unterwegs. Ich war auf meinen Ausflügen schon mehrmals über Nacht weggeblieben, deswegen dachte er sich nicht viel dabei. Von Tara Cohn erzählte ich ihm nicht.

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