Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Allein der Name wühlte mich schon auf, und das war mir wohl anzusehen. » Sie war gut zu uns, als wir Hilfe gebraucht haben, jetzt sollten wir sie fragen, ob sie uns braucht«, erklärte Jeannie.
Achselzuckend schaute Colin mich an. » Hast du ihre Nummer noch im Kopf?«
Selbstverständlich hatte ich ihre Nummer im Kopf. Ich holte tief Luft, tippte sie ins Handy und horchte auf das Läuten am anderen Ende, als wäre es der Ruf eines Fabelwesens.
» Hallo?« Der unverkennbare Singsang der karibischen Inseln.
» Sophia, hier ist Jasper.«
Pause. » Wie geht’s dir? Ist lange her–«, sagte sie dann.
» Ich lebe«, antwortete ich. » Und du? Wir verlassen die Stadt. Wir wollten fragen, ob du Hilfe brauchst.«
Sophia erklärte, sie hätten sich in ihrer Wohnung in einem der geschlossenen Viertel verbarrikadiert. Ihre Polizeikräfte lieferten sich gerade wütende Schlachten mit Banden von Eindringlingen.
Sie hatten sich verbarrikadiert. Hoffnungen, die ich mir gar nicht bewusst gemacht hatte, wurden im Keim erstickt. Ich kam mir vor wie ein Arschloch, weil ich darauf spekuliert hatte, dass ihr Mann sie verlassen hatte oder gestorben war.
Ich informierte die anderen.
» Sie müssen da raus«, sagte Ange. » Früher oder später kommen die Banden rein und bringen alle um.«
» Wir können nicht raus!« Sophias Stimme überschlug sich. Sie hatte Ange gehört.
Wir hatten die Abwasserkanäle benutzt, und Cortez auch. Die geschlossenen Viertel mussten doch wenigstens das gleiche Abwassersystem benutzen wie die übrige Stadt. » Ich glaube, ich weiß eine Lösung. Ich rufe Cortez an, er soll euch abholen und aus der Stadt rausbringen. Erinnerst du dich noch an Cortez?«
» Klar. Jasper, danke, dass ihr an mich gedacht habt«, sagte Sophia, bevor sie auflegte. Ich rief Cortez an, und er versprach, sie rauszuholen. Ich solle mir keine Sorgen machen, sagte er. Ich kämpfte mit den Tränen, so froh war ich, dass ich Sophia angerufen hatte.
» Da ist er!« Jeannie zeigte nach vorn, wo Sebastian auf den Schienen saß. Er flirrte ein wenig in der späten Nachmittagshitze.
Als er uns sah, kam er lachend und mit ausgebreiteten Armen auf uns zugerannt. » Seht mal, wir haben Glück im Unglück.« Er deutete den Schienenstrang entlang. Das war tatsächlich Glück. Wir waren praktisch bei der Rhizomsperre angelangt, die Savannah rings umgab. Vor uns ragte ein Bambusdickicht auf, das nur von vereinzelten Kiefern unterbrochen wurde. Doch noch vor kurzer Zeit war hier ein Zug entlanggefahren und hatte den Bambus, der zwischen den Gleisen aufgeschossen war, abgeschnitten. Ein Dutzend Menschen hastete gerade von der Straße her den Bahndamm hinauf und floh die Gleise entlang. Solange die Züge fuhren, würden wir rasch vorwärtskommen. Und sie mussten fahren– sie waren das einzige Transportmittel, das Savannah noch mit der Außenwelt verband.
» Wo gehen wir hin?«, fragte ich unbestimmt in die Runde.
» Wir sollten sehen, dass wir nach Athens kommen«, sagte Sebastian. » Da wird gerade etwas ganz Neues gegründet, eine Art Gemeinschaft, total cool. Die meisten kleineren Städte sind zugewuchert, und den Großstädten wird es genauso ergehen wie Savannah, wenn sie nicht schon kaputt sind.«
» Gehört das alles zu eurem großen Plan?«, fragte ich.
» Wir selbst sind der große Plan, Jasper.« Sebastian klopfte mir auf den Rücken und lachte in sich hinein. Dieser Knallkopf mit seinem Zen-Virus hatte immer ein Koan parat.
» Ich wollte schon immer mal ein großer Plan sein«, sagte Colin.
» Wisst ihr noch, was sie uns in der fünften Klasse beigebracht haben?« Sebastian hob den Zeigefinger. » Wir können werden, was wir nur wollen, wir müssen bloß hart genug arbeiten und an uns selbst glauben.«
» Diesen Schwachsinn haben sie uns wirklich eingetrichtert, was?«, sagte Ange.
» Nein, mal im Ernst.« Ich sah immer noch Sebastian an. » Ich möchte das wirklich gern wissen: Habt ihr damit gerechnet, dass der Bambus sich so ausbreitet?«
Cortez lachte leise. » Nein. Das hat keiner erwartet. Aber nichts funktioniert ganz genau so, wie man es plant, und wahrscheinlich ist der Bambus immer noch besser als die Alternative dazu.« Sebastian machte sich auf den Weg, die Schienen entlang, und wir anderen folgten ihm.
» Was war denn eigentlich die Alternative?«, fragte Jeannie.
» Ein Weltkrieg. Wenn ein Land zwischen Krieg und Hungersnot wählen muss, entscheidet es sich immer für den Krieg.«
Aus seinem Mund
Weitere Kostenlose Bücher