Wie Du Mir
Innentasche seiner Jeansjacke. Nicht bloß neun Millimeter, sondern fünfzehn Zentimeter waren da drin, und das ohne Griff. Seinetwegen sollte Flynn die Browning haben. Einen Abzug betätigen konnte jeder Idiot. Die sichere Variante. Unpersönlich und ohne jeglichen individuellen Spielraum. Dem Gegenüber näher zu kommen, ihm die Chance auf eine Reaktion zu geben, das brauchte wahres Kaliber. Außerdem war jede Klinge anders. Manche Messer durchschnitten Haut wie zimmerwarme Butter, andere rissen trotz ihrer Schärfe unkultivierte, ausgefranste Krater. Das Microtech war von der Butter-Sorte. Sein derzeitiger Favorit.
„Na klar ist alles klar.“
„Immer mit der Ruhe, Rooney“, Flynn sah ihn eindringlich an, dann schob er den Unterkiefer nach vorne. „Sag Derek, dass sein Wohnzimmer in 15 Minuten wieder ihm gehört.“
***
Sandra saß in einer spärlich beleuchteten Ecke der Lobby. Sie schien ihn schon länger bei der Suche nach ihr beobachtet zu haben. Ihre Beine waren übereinandergeschlagen, die Unterarme auf die Lehnen ihres Ohrensessels gestützt. Die unvermeidliche Zigarette. Zwischen zwei Zügen knabberte sie an den Innenseiten ihrer Lippen. Ihr stummes Angebot, ebenfalls eine zu rauchen, lehnte er ab.
Irgendwas im Rauch schmeckte seit der Operation anders. Schaler, als er es in Erinnerung gehabt hatte, und bitter.
Sandras schwarze Bluse stand ihr, doch Dally wagte nicht, ihr dafür ein Kompliment zu machen. Ihre Angst vor ihm schien verschwunden, trotzdem warnte jeder Blick, jedes Auf und Ab ihres Armes, jedes Aneinanderreiben der Lippen davor, ihr zu nahe zu kommen.
Erst, als sie den jungen Rezeptionisten ohne eine Bestellung zurückgeschickt hatten, sagte sie etwas.
„Solltest du nicht den Anfang machen? Immerhin hast du mich angerufen.“
Er betrachtete seine Hände, den Daumen, der die Innenfläche seiner manchmal so ungeschickten, kribbelnden rechten Hand massierte.
„Also?“ Ihr Fuß wippte auf und ab.
„Ich … es tut mir leid … ich wollte dich nicht in die Sache reinziehen. Ich hätte den Mund halten sollen.“
„Diese armen Menschen und ihre Hinterbliebenen sollten dir leid tun.“ Ihr Flüstern ritzte sich in seine Haut und Gehörgänge. Jede Antwort darauf war unangebracht, jämmerlich, verlogen.
Er studierte die abgewetzte Armlehne seines eigenen Sessels.
„Ich werde zur Polizei gehen, Sandra. Das hab ich nicht nur so gesagt.“
Sie nickte, unbeeindruckt.
„Wird ein Vorteil für dich sein. Sie werden dir Hafterlass gegen Aussagen anbieten.“
„Es geht nicht um Hafterlass. Ich will nur raus aus der Sache, ohne noch mehr Schaden anzurichten.“
Sie sah ihn zweifelnd an, schien ihre Optionen abzuwägen. Nach zwei weiteren Zügen klemmte sie sich ihre Zigarette zwischen die Lippen, beugte sich vornüber und holte einen Kalender im Ringbuchformat hervor. Sie öffnete die Schließe und blätterte eine Weile, bevor sie fündig wurde. Dann zog sie eine Visitenkarte aus einem kleinen Stapel, der in einer speziell dafür vorgesehenen Plastikfolie steckte, und schrieb die Nummer auf deren Rückseite. Auf dem goldenen Ring an ihrem Mittelfinger glitzerten drei Edelsteine in Rot, Blau und Grün – jeder einzelne größer als der Solitär, den er Marie zur Verlobung geschenkt hatte, bis über beide Ohren verschuldet bei seinen Eltern.
Sie hielt ihm die Karte mit der Rückseite nach oben entgegen.
„Wenn du’s wirklich ernst meinst, solltest du hier anrufen.“
Die Telefonnummer war zu eingängig für einen Privathaushalt.
DS William McCrea stand darunter. Das hörte sich bekannt an. Einer dieser Allerweltsnamen, von denen es zwei Spalten im Telefonbuch gab.
„Ist das ’n Freund von dir?“
Sie lächelte mit einem Mundwinkel.
„Er ist vom CID, sagte er.“
Aus Sandras Mund klang das nach Freund und Helfer. Aber es war immer noch ein Bulle. Er würde Dally dazu bringen wollen, alles zu verraten, nicht nur über sich selbst, sondern auch über andere. Sämtliche Tricks anwenden, jeden Druck ausüben, um ihm alle Informationen zu entreißen, die er hatte.
„Du siehst blass aus“, sagte Sandra, die Karte immer noch in der Hand.
Er nahm sie. Die Zahlen und Buchstaben sahen ebenso reliefartig aus wie die Prägung des Firmennamens, als hätte Sandra beim Schreiben all ihre Kraft verwendet.
„Wie kommst du dazu?“
Sandra sah ihn an, als fragte sie sich gerade, warum sie nicht früher erkannt hatte, wer Dally wirklich war; die Indizien ignoriert hatte.
„Am
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