Wie ein Hauch von Zauberblüten
erhob, schwiegen sie. Endlich war auch der Löwe müde geworden, und gegen Morgen schlief auch Dr. Oppermann ein. Aber schon zwei Stunden später schrak er auf. Die Sonne schob sich gerade über das Veld und vergoldete den Himmel. Urulele stand an Oppermanns Bett und sagte mit zuckenden Mundwinkeln:
»Sie haben Besuch, Master Doktor.«
Dr. Oppermann sprang auf, trat in das Vorzelt und sah die beiden jungen Ovambos mit demütiger Miene im Gras stehen. Es waren die Jungen, die der Alte seine Famuli genannt hatte. Die beiden großen Zauberkisten hatten sie mitgebracht und vor ihren Füßen abgestellt.
Dr. Oppermann spürte ein Frösteln über seinen Rücken laufen. Der lange Händedruck, das komische Gefühl, die dunkle Ahnung …
»Was ist passiert?« fragte er rauh.
Einer der Jungen senkte den Kopf. Er sprach ein schauderhaftes Englisch, aber man konnte ihn verstehen.
»Wir zu dir kommen … Großer Geist hat so gewollt … Du unser Herr … Hier Brief …«
Mit bebenden Händen nahm Dr. Oppermann das Schreiben in Empfang. In großen, aber sauberen Buchstaben hatte die Mumie geschrieben:
»Sir – mir ist klar geworden, daß mein Leben sich vollendet hat. Ich habe viel Schuld auf mich geladen, aber ich habe auch vielen helfen können. Hier schicke ich Ihnen meine beiden Lehrburschen und meine Kisten. Bitte, schlagen Sie sie nicht aus. Sorgen Sie für die Jungen. Sie sind begabt und werden sicherlich einmal gute Arzthelfer werden, vor allem, wenn sie bei Ihnen weiterlernen. Sir, ich danke Ihnen.«
Dr. Oppermann ließ den Brief sinken. Seine Kehle war wie zugeschnürt.
»Wo ist euer Herr?« fragte er heiser. »Was ist geschehen?«
Der Junge streckte den Arm aus und zeigte hinaus in den Busch.
Seine Stimme war klar und ohne Trauer.
»Alter Mann ist gegangen zu altem Löwen.«
»Mein Gott!« Oppermann faltete den Brief zusammen und senkte den Kopf. Wer denkt an so etwas? Ich hätte ihn festhalten müssen … Aber hätte man ihm damit einen Gefallen getan?
»Er hat euch auch die himmlische Sternenröhre geschenkt?« fragte er.
»Nein!« Der Junge blickte Dr. Oppermann fast tadelnd an. »Er hat sie mitgenommen. Er muß den Teil des Himmels doch wieder zurückbringen.«
Mit dem ersten Lastwagen kam Luba Magdalena. Jack Bostel steuerte ihn selbst. Im zweiten Lastwagen hockte neben einem schwarzen Fahrer, bekleidet mit einer Soutane, also im Dienst, Pater Mooslachner. Diese beiden Wagen mußten ein höllisches Tempo über den staubigen Pad mit der Waschbrettoberfläche gefahren sein, denn die nachfolgenden drei Lastautos kündigten sich mit einer hohen Staubwolke in der Ferne erst an, als Jack Bostel schon aus dem Fahrerhaus sprang, ein paar Kniebeugen zur Lockerung machte und dann Luba auf die Erde half. Mooslachner sprang aus seinem Wagen, als sei er ein Stuntman.
Dr. Oppermann hatte zwei Tage auf eine Nachricht von Bostel gewartet. Er selbst hatte sich nicht mehr um Funkkontakt bemüht. Ich bettele nicht um eine selbstverständliche Menschenpflicht, dachte er. Wenn ihnen hundert Leben nichts wert sind, werde ich sie mit diesen hundert Leben konfrontieren! Ich bringe sie hinaus, auf meiner Landbrücke, mit meinem Landrover! Wenn ich den Wagen vollpacke und sie auf dem Dach und den Kotflügeln sitzen, am Reserverad hängen und auf dem Kühler, dann kann ich pro Fahrt fünfundzwanzig Kranke nach Outjo schaffen. Dann werde ich achtmal hin und her fahren müssen, im schlimmsten Fall. Aber ich weiß, daß Mooslachner sofort etwas unternehmen wird, und dann transportieren wir sie mit zwei Wagen.
Mein lieber Herr van Dehlen, Sie werden sich diese armen Teufel ansehen müssen! Und wenn ich Sie am Kragen hinschleife! Scheiß drauf, was später passiert, mit der Regierung in Windhoek, mit dem Ministerium in Pretoria!
Eine unbändige Wut wuchs in ihm. Der Tod des alten Mannes verpflichtete ihn noch mehr, diese Kranken zu retten. Er wußte, daß sich der alte Zauberer an die Wasserstelle gesetzt und den einsamen, vor Hunger brüllenden Löwen erwartet hatte, mit einer ruhigen Seele, weil er das Wort des weißen Doktors mitnahm: Sie werden alle in gute ärztliche Behandlung kommen. Viele werden überleben.
An diesem Vormittag hatte Dr. Oppermann mit dem Häuptling gesprochen, ihm die Situation erklärt und die fünfundzwanzig Kranken für den ersten Transport ausgesucht. Es waren keine Patienten mit der rätselhaften Infektion der Augen, sondern Männer und Frauen, die an Milz- und Leberschäden litten, an
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