Wie Fackeln im Sturm
Geschmack wieder einfiel, den der verrührte Kräutersud gehabt hatte. Sie hatte sich überwinden müssen, den Trank zu schlucken. Sie erinnerte sich, dass ihr schlecht geworden war und dass sie vor Übelkeit mehrmals hatte auf stoßen müssen, aber alles Weitere war eher verschwommen. Bislang war Willa davon ausgegangen, ihr sei nur deshalb übel geworden, weil sie nach der üppigen Mahlzeit die Kräutermischung nicht vertragen hatte und ohnehin unruhig gewesen war. Doch jetzt schien es, als ob ihr wieder jemand nach dem Leben trachtete. Diese Vorstellung war beängstigend.
Willa war in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass ein Unbekannter ihr in seinem grenzenlosen Hass den Tod wünschte. Dieser Umstand hatte ihr ganzes Leben beeinträchtigt. Sie hatte geliebte Menschen verloren und beileibe keine unbeschwerte Kindheit gehabt. Aber sie konnte nichts daran ändern. Sie wusste ja nicht einmal, wer ihr nach dem Leben trachtete und warum. Wie sehr sie Onkel Richard auch ersucht hatte, ihr alles zu sagen, das hatte er ihr nie erklären wollen. Seiner mitleidsvollen Miene hatte sie entnommen, dass es unerträglich schmerzvoll für sie wäre, wenn sie erführe, wer hinter dem Mordanschlag stand. Daher hatte sie vermutet, bei dem Unbekannten handelte es sich womöglich um einen Menschen, der ihr eigentlich in Liebe zugetan sein müsste … wie ihr leiblicher Vater. Dieser Verdacht wurde noch durch den Umstand genährt, dass ihr Onkel nie ein Wort über ihren Vater verloren hatte.
Das alles war furchtbar beunruhigend und enttäuschend. Mit diesen düsteren Aussichten konnte sie nur fertig werden, wenn sie sie verdrängte. Hugh war jetzt ihr Gemahl. Er würde sie schützen. Zudem hatte sie andere Schwierigkeiten zu meistern. So war beispielsweise die Ehe letzte Nacht nicht vollzogen worden. Ein weiteres Mal dachte sie voller Unruhe und Angst an die bevorstehende Vereinigung am Abend. Verflucht! Willa hatte geglaubt, in ihrer schläfrigen Benommenheit das Schlimmste bereits überstanden zu haben. Stattdessen war sie immer noch eine jungfräuliche Braut. Das war furchtbar! Jetzt stand ihr nach wie vor der Schmerz des ersten Mals bevor.
Willa spürte ein wachsendes Unbehagen und zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Schließlich stieß sie einen schweren Seufzer aus. Sie würden die Ehe an diesem Abend vollziehen, und dann hätte sie es hinter sich. Sie würde Zwillinge empfangen, und er würde … nun, mit etwas Glück wäre es ihm vergönnt, seine Kinder aufwachsen zu sehen. In dieser Hinsicht hatte Eada keine Versprechungen machen können. Tatsächlich hatte die alte Frau offen zugegeben, die Zukunft ihres Gemahls sei von Nebelschleiern verhangen. Hugh könnte leben. Aber er könnte auch sterben. Am besten zeugt er die Zwillinge heute Nacht, dachte Willa. Für den Fall, dass ihm kein langes Leben beschieden war. Dann runzelte sie die Stirn und rieb sich über den Bauch, denn sie litt immer noch unter leichten Krämpfen.
„Und du bist sicher, dass die Ehe nicht vollzogen wurde?“ fragte sie hoffnungsvoll.
„Ja, ganz sicher. Dafür warst du nicht in der richtigen Verfassung.“ Eada schmunzelte, als sie die Enttäuschung in Willas Gesicht bemerkte. „Vertrau mir, mein Mädchen. Wenn es dazu kommt, wirst du dich daran erinnern. Du wirst dich am nächsten Tag nicht vergewissern müssen, ob es geschehen ist.“
„Ich verstehe“, antwortete Willa unsicher und fragte dann: „Bist du sicher, dass ich nichts wissen muss? Gibt es nichts, was ich tun müsste?“
„Ich habe es dir schon gesagt, mein Kind. Er wird wissen, was er zu tun hat, und dir mitteilen, was er von dir erwartet. Ich habe dir auch erklärt, was auf dich zukommt. Du brauchst dir keine Gedanken …“
„Also gut, gibt es dann etwas, was ich nicht tun sollte?“ erkundigte sich Willa.
Eada schüttelte den Kopf und hielt inne, als sich wieder eine plötzliche Angst in Willas Gesicht abzeichnete. „Ja, vielleicht gibt es da etwas, das du nicht tun solltest.“
Willa horchte sogleich auf und sah die alte Frau erwartungsvoll an. „Was denn?“
„Dir ist doch bewusst, wie gerne du redest, nicht wahr? Dass du oft endlos über dies und das plapperst?“
Willa musste sich auf die Zunge beißen, um bei dieser Anschuldigung nicht zu lachen. Wie oft hatte sie die alte Frau in den zurückliegenden Jahren mit ihrem Mitteilungsbedürfnis an den Rand des Wahnsinns getrieben! Aber das hatte nur an der Einsamkeit der Waldhütte gelegen. Sie hatte ja niemanden sonst
Weitere Kostenlose Bücher