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Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Titel: Wie keiner sonst / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas T. Bengtsson
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nichts. Wir suchen hier keine verlorenen Schlüssel. Sieh, ohne zu sehen.«
    Ich starre, bis mir die Augen wehtun und die Beine einschlafen. Ich öffne den Mund, will meinen Vater fragen, ob wir nicht heimgehen können. Ob wir vielleicht ein andermal wiederkommen können.
    Da geschieht es. Wenn ich nicht wüsste, wonach ich Ausschau halten soll, würde ich es kaum bemerken.
    Es beginnt hellblau. Wie Rauch, der über den Köpfen der Leute hängt. Dann wird es größer, das Blau wird dunkler und weniger durchsichtig.
    »Da«, flüstert mein Vater.
    Das Blau bekommt Arme und Beine. Es ist mitten unter den Menschen, bleibt kurz an ihnen kleben, wenn sie vorbeigehen, lässt sie wieder los und nimmt eine Gestalt an, die nun auch einen Kopf hat. Ein Gesicht mit leerem Ausdruck, weder Frau noch Mann.
    Dann ist es plötzlich weg. Besteck klimpert, die Kasse klingelt, und Hunderte von Wörtern schwirren durch die Luft. Der Lärm ist mit einem Mal zurück, und er ist umso lauter.
    Mein Vater lächelt, er hat feuchte Augen.
    »Ich wusste, dass du es sehen würdest. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
    Er hebt mich vom Stuhl und nimmt mich fest in die Arme, meine Beine baumeln in der Luft.
    Als wir über den Strøget zurückgehen, fühlt sich mein Kopf merkwürdig leicht an. Im Bus frage ich meinen Vater, ob ich wirklich einen Engel gesehen habe. In der Cafeteria war ich mir ganz sicher, aber nun bezweifle ich es.
    »Wer weiß«, antwortet er. »Ich glaube schon. Aber wer weiß. Das Wichtigste ist, dass du etwas gesehen hast.«

I ch warte auf der untersten Stufe, wringe den Putzlappen aus, hole frisches Wasser und klopfe den Dreck aus den Fußmatten. Mein Vater putzt die Treppe. Ich weiß, dass ich keine große Hilfe für ihn bin.
    Eines Morgens kommt die Sonne hinter den Wolken hervor. Es ist Anfang Mai, und ihre Strahlen wärmen durch die Kleider. »Camus hatte recht, es ist leichter zu hungern, wenn die Sonne scheint«, sagt mein Vater.
    »Nicht, dass wir hungern müssten«, fügt er schnell hinzu.
    Wir ziehen durch die Parks und sammeln Flaschen. Darin bin ich gut, auch wenn ich nicht so viele tragen kann. Ich muss nicht weit gehen, um die nächste Flasche zu bekommen, die Leute trinken die letzten Tropfen oder schütten sie ins Gras, um mir die Flasche zu geben.
    Am Abend sagt mein Vater, er habe keinen Hunger. Er schiebt seinen Teller zu mir hinüber. »Iss«, sagt er. »Es wäre schade um das schöne Essen.«

I ch sitze auf der Ladefläche. Wir fahren an der Haltestelle vorbei und weiter hinaus, bis wir die Einzigen auf der Straße sind, bis die Straße holprig wird und Schotter unter den Reifen knirscht. Mein Vater hält an, damit ich pinkeln kann, dann fahren wir weiter, bis wir an ein altes, verrostetes Tor kommen. Dahinter beginnt ein Weg, an dessen Rändern hohe Bäume stehen. Mein Vater schließt das Tor hinter uns. Das Laub der Bäume ist so dicht, dass es einem grünen Zaun gleicht. Wir fahren, bis ich die Straße nicht mehr sehen kann. Dann kommen wir zwischen den Bäumen hervor. Das Haus vor uns sieht aus wie aus einem Cowboyfilm, es hat mehrere Etagen und ist aus breiten Brettern gebaut. Es könnte einem reichen Rinderfarmer gehören.
    »Du solltest wissen, dass die Dame, die hier wohnt«, sagt mein Vater, als er das Fahrrad an einen Baum lehnt, »ein bisschen anders aussieht.«
    Ich weiß nie, wie er seine Jobs bekommt, irgendwann hat er sie einfach. Genau wie diesen.
    Wir gehen die Stufen zur Terrasse hinauf, die Bretter knarren unter unseren Füßen. Als wir vor der Haustür stehen, streicht mein Vater sein langes Haar zurück, wischt sich den Mund ab und mustert mich eindringlich. Dann nickt er. Er klopft drei Mal an und öffnet die Tür. Wir gehen durch eine große Halle in ein Zimmer mit Spitzengardinen und Porzellanfiguren. Mein Vater legt die Hand auf meine Schulter, und wir warten einen Augenblick, bis die alte Dame aus der dunkelsten Ecke des Zimmers hervortritt. Ihr Gesicht ist irgendwie falsch, wie verzerrt, mitten auf der Stirn sitzen zwei Menschenaugen. Ich muss fast weinen, spüre aber die feste Hand meines Vaters auf der Schulter. Ich schaue nicht weg, hoffe, dass er stolz auf mich ist. »Hallo«, sagt die Dame und beugt sich zu mir. Ich habe Angst, dass sie meine Hand nehmen will. Ich glaube, man hört mein Herz schlagen, es muss einen Höllenlärm machen in dieser stillen Stube, weit weg von allen Autos und den anderen Menschen.
    Dann dreht sie sich um, es ist eine Erleichterung, nur

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