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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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Verpflichtungen. Die Bauern dagegen blieben auf der sozialen Stufenleiter auf ihrem angestammten Platz: ganz unten. Ihr Leben wurde von dem lokalen seigneur bestimmt, in unserem Fall vom Oberhaupt der Familie Eyquem. Ihm gehörte das Haus, in dem sie wohnten, er setzte sie in Lohn und Brot und gestattete ihnen gegen einen Mietzins die Benutzung seiner Weinkelter und seines Backofens. In seiner Eigenschaft als seigneur erschien ihnen Montaigne wohl als typischer Vertreter seines Standes, auch wenn er in seinen Essais die Weisheit der Bauern über alles lobte – in einem Buch, das keiner der auf seinen Gütern arbeitenden Bauern lesen konnte.
    Laut dem Eintrag ins Familienbuch wurde Montaigne «in confiniis Burdigalensium et Petragorensium» geboren, also im Grenzgebiet zwischen Bordeaux und dem Périgord. Ein wichtiges Detail, denn Bordeaux war mehrheitlich katholisch, das Périgord dagegen wurde von den Anhängern der neuen Religion des Protestantismus beherrscht. Die Familie Eyquem musste sich mit beiden Lagern gutstellen, deren religiöse Divergenzen auch noch lange nach Montaigne Europa spalteten.
    Die Reformation war immer noch ein relativ neues Phänomen. Ihr Beginn wird gewöhnlich auf das Jahr 1517 datiert, als Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der römischen Kirche verfasste und, so will es die Überlieferung, an der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg anschlug. Die Schrift fand weithin Verbreitung und führte zu einer immer stärker anwachsenden Widerstandsbewegung gegen die römische Kirche. Der Papst tat Luther zunächst als einen «betrunkenen Deutschen» ab, später exkommunizierte er ihn. Die weltlichen Herrscher des Heiligen Römischen Reichs erklärten Luther für vogelfrei. Jeder konnte ihn töten, und das machte ihn zu einem Volkshelden. Bald zerfielen weite Teile Europas in zwei konfessionelle Lager: diejenigen, die der römischen Kirche treu blieben, und diejenigen, die LuthersRebellion unterstützten. Diese Spaltung folgte weder geographisch noch ideologisch festen Grenzen. Europa zerfiel wie ein krümeliger Brotlaib, nicht wie ein mit dem Messer sauber halbierter Apfel. Fast alle Staaten waren davon betroffen, doch nur wenige gingen entschieden den einen oder den anderen Weg. Vielerorts und besonders in Frankreich verlief die Spaltung mitten durch Dörfer, ja sogar Familien, nicht entlang fester territorialer Grenzen.
    Montaignes Heimatregion Guyenne (oder Aquitanien) wies jedoch ein klareres Grundmuster auf. Die ländlichen Gebiete schlugen sich auf die eine, die Hauptstadt auf die andere Seite. Die Spannungen verschärften sich durch das in dieser Gegend bereits vor der Reformation vorhandene Gefühl der Nichtzugehörigkeit Aquitaniens zu Frankreich. Die Region hatte eine eigene Sprache, die historischen Bindungen an den Norden des Landes waren schwach. Lange Zeit war Aquitanien englisches Territorium gewesen. Erst 1451 wurden die Engländer von französischen Eroberern vertrieben, die als wenig vertrauenswürdige Eindringlinge angesehen wurden. Die Bewohner sehnten sich wehmütig nach der alten Zeit zurück, nicht weil sie die Engländer vermissten, sondern weil sie die Nordfranzosen hassten. Immer wieder kam es zu Aufständen. Die Behörden errichteten drei starke Festungen, um Bordeaux unter ihrer Kontrolle zu halten: das Château Trompette, das Fort du Hâ und das Fort Louis, die heute längst geschleift sind.
    Wo immer möglich, knüpfte Bordeaux diplomatische Beziehungen, nur nicht zu seinen Eroberern. Zu Montaignes Lebzeiten stand die Region unter dem starken Einfluss des protestantenfreundlichen Hofs von Navarra im Béarn an der Grenze zu Spanien. Sie pflegte weiterhin enge Beziehungen mit England, wo die Nachfrage nach Bordeauxwein groß war. Eine englische Weinflotte legte regelmäßig in der Stadt an, um Nachschub zu holen – sehr zur Freude der regionalen Produzenten, nicht zuletzt der Familie Eyquem vom Château de Montaigne.
    Je wichtiger das Landgut wurde, desto stärker setzte sich die Selbstbezeichnung «Montaigne» gegenüber dem älteren Namen Eyquem durch, der deutlich regionale Anklänge hatte. Ein Zweig der Familie ist bis heute für seinen Wein mit dem berühmten Namen Château d’Yquem bekannt. Trotz seiner Bevorzugung des Lokalen und Eigentümlichenwar Montaigne der Erste, der den alten Namen ablegte und unter dem einfacheren französischen Namen seines Stammsitzes bekannt wurde. Biographen tadelten ihn dafür, aber er setzte nur den von seinem

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