Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
aber zufrieden, verabschiedete Constanze Stunden später ihre Mitarbeiterin und schloss hinter ihr ab. Dann setzte sie sich wie jeden Abend an die Kasse und erledigte mit geübter Routine den Tagesabschluss. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Das Geschäft warf mittlerweile anständige Gewinne ab.
Als sie den Laden mit einem Teil des Geldes aus der Scheidungsabfindung gekauft hatte, war sie anfangs noch am Grübeln gewesen, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Zwar hatte sie bereits als Kind Bücher über alles geliebt, sie als Zuflucht vor der oft harten Realität des Waisenhauses gesehen, aber das allein reichte für den Erfolg einer Buchhandlung bei Weitem nicht aus. Letztlich war es die Mischung aus Trotz und Sich-etwas-beweisen-Wollen gewesen, die ihr das nötige Durchhaltevermögen für die nervenaufreibende Aufbauphase gegeben hatte. Michael hatte es nie versäumt, ihr klarzumachen, wie verloren und hilflos sie ohne ihn wäre. Auch wenn er ihren Sinn für Organisation und Finanzen in geschäftlichen Dingen gern genutzt hatte, hatte er sie doch für schwach und unsicher gehalten.
Es war ein Schock für sie gewesen, feststellen zu müssen, dass seine wenig schmeichelhafte Einschätzung irgendwann zu ihrem Selbstbild avanciert war. Diese bittere Erkenntnis war es letztlich gewesen, die Constanze dazu bewogen hatte, direkt und ohne lange nachzudenken, ins kalte Wasser zu springen.
Heute war sie froh darüber. Inzwischen hatte sich gezeigt, dass sie sehr wohl in der Lage war, allein zurechtzukommen. Und das nicht einmal schlecht.
Das Wissen darum, mit dem Einkommen aus dem Buchhandel Eliahs und ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, machte Constanze stolz. Zumindest was das anging, war es ihr gelungen, sich aus dem Sumpf des Selbstzweifels, in den Michael sie gestoßen hatte, wieder hinauszustrampeln.
Ihre Gedanken wanderten zu dem Gespräch mit Beate zurück. In puncto Partnerschaft und Sexualität war ihr ein ähnlicher Befreiungsschlag leider nicht gelungen. Diesbezüglich konnte sie mit keinen Erfolgen aufwarten. Na, und wenn schon? Sie hatte nicht das Bedürfnis, etwas Derartiges versuchen zu müssen, auch wenn Beate anscheinend anderer Meinung war. Wenn ihre Angestellte nur einen blassen Schimmer hätte, welche Hölle Constanze in ihrer Ehe hatte durchmachen müssen, würde sie sicher von ihren gut gemeinten Ratschlägen ablassen. Leider war es ihr unmöglich, Beate davon zu erzählen. So gern sie sie auch mochte, keinesfalls würde sie ihre Tarnung aufs Spiel setzen.
Constanze überschlug die Zahlen der Tagesumsätze und unterstrich die Summe schwungvoll. Die Abrechnung stimmte. Zufrieden lächelnd schloss sie die Kasse und steckte die Aufzeichnungen in die Tasche. Jetzt musste sie die Ergebnisse später nur noch in ihren Computer zu Hause übertragen.
Ihr Blick umfasste die kleine Buchhandlung, während sie aufstand. Das, was sie Beate gegenüber gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Sie war glücklich. Ihres Erachtens ging es allein um die Sichtweise, unter welchen Voraussetzungen man so etwas wie Glück empfinden konnte.
Weil sie ohne Familie und Geborgenheit aufgewachsen war, rangierten diese Dinge an oberster Stelle ihrer Wunschliste. Erst seit sie mit Eliah in Köln lebte, hatte sie so etwas wie ein normales Leben erfahren dürfen. Auch Susanne und Frank trugen wesentlich dazu bei. Sie waren das erste Paar, das genauso glücklich war, wie es den äußeren Anschein hatte. Nichts war gespielt. Wenn Susanne und Frank ihre seltenen Meinungsverschiedenheiten austrugen, so taten sie das in Liebe und ohne den anderen in irgendeiner Form zu verletzen, selbst wenn manchmal sprichwörtlich die Fetzen flogen. Die Zeit mit den beiden taten Eliah und ihr unendlich gut.
Nein, an ihrem Leben gab es nichts auszusetzen. Sie hatte alles, was sie sich nach ihrer Trennung von Michael jemals erhofft hatte. Sie verstaute den Taschenrechner und sah auf die Uhr. Höchste Zeit Eliah abzuholen.
Eilig machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen. Der PS-starke Mini vom Tag ihrer Flucht war einem VW-Polo älteren Baujahrs gewichen. Weil sie nichts aus ihrem alten Leben hatte mitnehmen dürfen und wollen, hatte sie sich von allem getrennt, was sie in irgendeiner Weise daran erinnerte.
Als sie wenig später vor der Kindertagesstätte anhielt, hüpfte Eliah gerade aus dem Gebäude. Constanze stieg aus, ging in die Knie und schloss ihren Sohn in die Arme. »Hallo Spätzchen, hattest du einen schönen
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