Wie weit du auch gehst ... (German Edition)
vor Kurzem verlassen hatte, musste er sich noch irgendwo auf dem Gelände befinden. So einfach kam man aus dem gut überwachten Anwesen nicht heraus. Selbst als Magier nicht. Der einzige Weg führte durch das Haupttor, es gab keinen anderen – zumindest keinen ungefährlichen. Michael hatte das Anwesen nach seinem Kauf in ein zweites Fort Knox verwandelt. Jede denkbare Flucht scheiterte an der intelligenten Überwachung der Außenmauer.
Silas’ Chancen standen schlecht – es sei denn, sie half ihm. Noch konnte ihr ursprünglicher Plan, ihn im Kofferraum von Andreas Wagen durchs Tor zu schleusen, gelingen. Vorausgesetzt, sie fand ihn.
Aufgewühlt rang sie die Hände. Genau darin lag das Problem. Den Magier finden … Wie in Gottes Namen sollte sie das anstellen? Sie konnte schlecht das ganze Anwesen nach ihm durchkämmen, geschweige denn laut seinen Namen rufen.
Etwas Pelziges tippelte über ihren linken Fuß. Constanze gelang es zwar, einen Schrei zu unterdrücken, aber seelenruhig stehen zu bleiben, während eine Ratte auf ihren nackten Füßen herumturnte, überstieg dann doch ihre Beherrschung. Reflexartig sprang sie von dem Nager weg, stolperte rückwärts und prallte mit der Hüfte gegen ein niedriges Regal. Die darauf gestapelten Weinflaschen wackelten bedenklich. Zwei kippten um. Flink streckte Constanze die Hände aus, erwischte aber nur noch eine der beiden. Die andere rollte ungerührt über die Kante des Holzbretts, sauste eine Millisekunde lang im freien Fall und zerschellte laut klirrend auf dem Boden. Das disharmonische Geräusch klang selbst in Constanzes Ohren wie ein Paukenschlag. Ängstlich riss sie den Kopf herum.
Was sie hinter sich sah, bestätigte ihre schlimmste Befürchtung. Der Mann in der Ecke war aufgewacht. Er stöhnte leise, schüttelte den Kopf und sah nun seinerseits in ihre Richtung. Dann kam er erschreckend zügig auf die Beine. Constanze stockte der Atem. Sie musste sofort hier raus. Wenn Michaels Wachmann sie zu fassen bekam, war alles vorbei. Noch bevor er eine weitere Bewegung machen konnte, reagierte sie. Geistesgegenwärtig packte sie mehrere Weinflaschen und warf sie in schneller Abfolge nach ihm. Im nächsten Augenblick spurtete sie los. Dumpfes Krachen hinter ihr, gepaart mit schmerzvollen Flüchen bewies, wie treffsicher sie gezielt hatte. Dennoch verschwendete Constanze keine Zeit, den Schaden zu begutachten. Ohne nach rechts oder links zu sehen, hetzte sie zur Tür, stürzte hindurch und schleuderte sie hinter sich ins Schloss. Einen Wimpernschlag später wirbelte sie herum und riss den Riegel vor.
Keine Sekunde zu früh. Beinahe sofort donnerten wutentbrannte Schläge von der anderen Seite dagegen. Constanze wich zurück. Schreckensstarr fixierte sie die Tür, als fürchtete sie, der massive Stahl könnte wie durch ein Wunder doch noch nachgeben. Natürlich war das nicht der Fall. Schluchzend presste sie eine Hand auf ihr klopfendes Herz, dann rannte sie weiter. Den Gang entlang und die Treppe hinauf. Erst als sie das dritte Mal schmerzhaft umknickte, drosselte sie das Tempo. Bis sie endlich oben ankam, war sie völlig außer Atem. Schwer keuchend lehnte sie sich gegen die Mauer. Tränen brannten in ihren Augen, aber sie drängte sie zurück. Keinem war geholfen, wenn sie jetzt zusammenbrach. Das konnte sie immer noch, sobald Silas in Sicherheit war. Sie nahm einen tiefen Atemzug und setzte sich in Bewegung. Sie hielt sich im Schatten der Torbögen, die die Stallungen zum Hof hin einrahmten, und spähte alle paar Schritte zwischen den weiß gekalkten Säulen hindurch, ständig auf einen Hinweis hoffend, welche Richtung Silas eingeschlagen hatte. So wie die Gebäude angeordnet waren, erschien es ihr am wahrscheinlichsten, dass er sich in der Nähe der Garage versteckt hielt. Das rechteckige Bauwerk stand relativ abseits und war von dichten Büschen umsäumt. Hoffentlich lag sie mit dieser Vermutung nicht falsch, denn wenn sie sich irrte, blieb nur noch das verhasste Haupthaus, und dahin wollte sie nur im äußersten Notfall gehen …
Mehrere Minuten lang prüfte sie sorgfältig die Umgebung, dann straffte sie die Schultern und trat auf den Hof. Bis in die letzte Faser angespannt marschierte sie quer über die offene Kiesfläche. Sie hielt den Blick gesenkt, weil ihr selbst unter Aufbietung aller Kräfte nicht gelingen wollte, den Kopf zu heben. Als sie bemerkte, dass sie auch noch eine Hand gegen ihren Hals drückte, nahm sie sie schnell hinunter. Für die
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