Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
Gerede, sie hätte sich das Leben genommen. Der alte Robert Knowles hat sie gefunden. Erinnern Sie sich an ihn? Ein berüchtigter Wilderer. Es heißt, er habe die Steine aus ihren Taschen genommen, bevor er Alarm schlug.«
Mich überlief ein Schauder. Die Wärme des Tages glitt davon.
»Wie furchtbar. Wann ist das passiert?«
»Im ersten oder zweiten Kriegsjahr. Sie hatte einen Cousin im Expeditionskorps, der ziemlich früh gefallen ist. Es hieß,das hätte sie sehr erschüttert. Sie war immer ein bisschen, wie soll ich sagen, labil , wenn Sie mich verstehen.«
In dem Häuschen vor uns bewegte sich eine Gestalt hinter dem Fenster. »Wir sollten besser hineingehen«, murmelte ich.
Anne hakte mich unter. »Ja. Leider dürfte dieser Besuch nicht sehr erfreulich werden.«
Mrs Woodward war eine kleine Frau mit schmalen Lippen, die uns ins Wohnzimmer bat, als wäre es eine unvermeidliche, aber leicht widerwärtige Pflicht.
»Setzen Sie sich, Miss Gregory, Mr Allen. Sie möchten sicher Tee.«
Es wäre leicht, zu sagen, dass das ordentliche kleine Wohnzimmer nach Kummer roch. Doch in Wahrheit roch es nur nach Möbelpolitur, ziemlich stark sogar, als hätte man den Geist des Raumes wegpoliert. Es gab kein Foto, keine Porträts, nicht einmal eine Ansammlung von Krimskrams auf dem Kaminsims. Nichts, was dem Raum irgendeinen eigenen Charakter verliehen oder die Persönlichkeit der Bewohnerin widergespiegelt hätte. Die einzige Ausnahme war ein kleines Bücherregal in der Ecke, das irgendwie fehl am Platz wirkte: Gedichtbände und billige Ausgaben von Romanen, dazwischen das eine oder andere teuer gebundene Buch. Nicht Mrs Woodwards Sammlung, wie ich vermutete.
»Es hat sich viel verändert, seit Sie zuletzt hier waren, Sir«, bemerkte meine Gastgeberin, als sie mit einem Teetablett aus der Küche zurückkam. »Wie lange ist es her?«
»Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich seit über fünf Jahren nicht in Hannesford gewesen bin.«
»Das ist keine Schande, Sir. Sie haben zweifellos Ihre Pflicht getan. Und ich würde es wahrhaftig niemandem zum Vorwurf machen, dass er Hannesford verlässt.«
Sie sprach in einem so verbitterten Ton, dass Anne und mir zunächst keine Antwort einfiel.
»Miss Gregory hat erzählt, dass Sie unglückliche Erinnerungen mit Hannesford verbinden«, sagte ich schließlich. »Ich bedaure, dass ich Ihnen erst jetzt mein Beileid aussprechen kann.«
»Vielen Dank, Sir.« Die Erwähnung ihres Kummers schien die Witwe seltsamerweise aufzuheitern. »Aber Mr Woodward war schon eine Weile krank, bevor er starb. So viele junge Männer waren weg, er bekam keine Hilfe bei der Arbeit. Ich habe immer gesagt, dass es ihm irgendwann zu viel werden würde.«
Anne und ich tranken unseren Tee und ließen sie einige Minuten lang über die Beschwernisse ihres Ehemannes klagen.
»Ich möchte Ihnen auch mein Beileid zum Tod Ihrer Tochter aussprechen«, fügte ich hinzu, als sie schließlich innehielt. »Es hat mir sehr leidgetan, als ich hörte, dass sie verstorben ist.«
Mrs Woodward schaute düster drein. »Die alte Brücke war nie sicher. Ich habe oft gesagt, sie braucht ein richtiges Geländer. Es ist ein Wunder, dass vorher nichts passiert ist. Aber mit dem Krieg und allem bestand natürlich keine Aussicht, dass daran gearbeitet würde.«
Ich nickte und und staunte, wie unterschiedlich Menschen ihren Kummer zeigten. Bei Mrs Woodward äußerte er sich als gereizte Kleinlichkeit.
»Captain Allen hat ebenso wie ich gute Erinnerungen an Ihre Tochter«, warf Anne ein. »Wir haben ihre Gesellschaft im Herrenhaus immer sehr genossen.«
Mrs Woodward presste die Lippen nur noch fester aufeinander. »Leider war meine Tochter viel zu oft in Hannesford Court, Miss Gregory. Ich weiß, es war sehr gnädig von Miss Margot, sie einzuladen, aber wenn es nach mir gegangen wäre, wäre sie hiergeblieben, wo sie hingehörte. Diese Besuche haben sie beunruhigt. Sie auf dumme Gedanken gebracht.«
Es schien eines ihrer Lieblingsthemen zu sein.
»Ich möchte nicht schlecht über die Familie Stansbury reden«, sagte sie im Tonfall eines Menschen, der vermutlich genau das wollte, »aber wie dieser junge Mann meiner Julia nachgelaufen ist … Er hätte sich schämen sollen, sich einer jungen Dame so aufzudrängen. Ein echter Gentleman hätte sich niemals so verhalten.«
Bis jetzt hatte ich nur mit halbem Ohr zugehört, doch dies erregte meine Aufmerksamkeit. »Ein junger Mann? Meinen Sie Harry? Harry
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