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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht gerade für ihr Mitgefühl bekannt war.
    Wie erwartet war ich nachmittags heilfroh, das Haus zu verlassen. Das Mittagessen verlief recht fröhlich, doch bald stellte sich heraus, dass die meisten keine Lust auf einen Nachmittag im Freien hatten. Bill und Margot planten, angestachelt von Denny Houghton und Lucy Flinders, eine Schatzsuche im Haus, während Sir Robert verkündete, er werde den Nachmittag mit seinen Plänen für das Denkmal verbringen. Als Margot hörte, dass ich ins Dorf wollte, sah sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, versuchte aber nicht, es mir auszureden. Neil Maclean sah aus, als wäre er gern nach draußen gegangen, wurde aber überstimmt. Ich ergriff die Flucht, während Freddie Masters dem Amerikaner auf den Arm klopfte und fröhlich verkündete: »Keine Sorge, alter Knabe, nur noch fünf Stunden bis zum Abendessen.«
    Als ich zum Pfarrhaus kam, schlang Anne sich gerade ihren Schal um den Hals. Obwohl es morgens noch nach einem schönen Tag ausgesehen hatte, war der Himmel jetzt bedeckt, eine frühe Dämmerung drohte. Dennoch war die Luft frisch, und ich verspürte plötzlich einen unerklärlichen Optimismus. Die Tradition dieser Weihnachtsbesuche wurzelte tief in der Vergangenheit, und das Gefühl von Kontinuität tat mir wohl. Anne lächelte, als ich über den vereisten Weg zum Haus geeilt kam.
    »Sie brauchen gar nicht hereinzukommen. Wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit bis Winnard’s Farm und zurück laufen wollen, dürfen wir keine Zeit verlieren.«
    Es wurde ein wirklich angenehmer Nachmittag. Der Himmel war dunkel, aber es schneite nicht mehr, und die kahlen Linien des Moors unter den Wolkenmassen wirkten unwirklich und geheimnisvoll. In jedem Haus wurden wir herzlich begrüßt. Mrs Uttley hatte so viele Jahre ihre Runde gemacht, dass der Besuch aus dem Pfarrhaus in den meisten Haushalten Teil der Weihnachtstradition geworden war. Häufig bat man uns auf eine Tasse Tee oder ein Glas Pastinakenwein herein, der einem die Tränen in die Augen trieb.
    Dennoch spürte man hinter der Wärme und Freundlichkeit überall die Trauer. Zwischen den Besuchen erzählte Anne mir alles, was ich wissen musste: Ein Enkel bei Arras gefallen, ein Sohn in Gallipoli getötet, ein Bruder in Gefangenschaft gestorben; in einem Haus blieb die Tür nachts unverschlossen und eine Kerze angezündet, damit der vermisste Ehemann den Heimweg fände.
    Trotz aller Sorgen hießen mich die Familien willkommen und sprachen erstaunlich offen über ihren Verlust. Ich antwortete mit den üblichen Plattitüden – sein Regiment wurde von allen nur gelobt; wir alle haben die Devons bewundert; Männer wie er waren ein Vorbild für uns –, und es überraschte mich, dass die abgenutzten Formulierungen sie aufrichtig zu trösten schienen. In jedem Haus begegnete mir der überwältigende Drang, davon zu reden, der Hunger nach Trost. Vielen Dank, Sir. Ihre Worte haben seine Mutter sehr glücklich gemacht …
    Und in fast jedem Haus hatte ein Foto einen Ehrenplatz. Erst jetzt wurde mir klar, dass wir zu einer Nation der Schreine geworden waren. Mehr als einmal musste ich zwischen zwei Besuchen eine Weile starr auf den Horizont schauen, bevor ich mit Anne sprechen konnte.
    Als wir zum letzten Haus kamen, dämmerte es bereits, und die Luft roch nach feuchtem Laub.
    »Jetzt kommt noch Mrs Woodward in White Cottage«, erklärte Anne. »Die Witwe von Sir Roberts früherem Verwalter. Er ist letztes Jahr an der Grippe gestorben.«
    Ich nickte. »Ich habe vorhin seinen Nachfolger kennengelernt. Und ich habe mich gefragt, was aus seiner Tochter geworden ist. Hieß sie nicht Julia?«
    Anne blieb stehen und drehte sich überrascht zu mir um. »Sie wissen es nicht? Julia Woodward ist tot.«
    Ich zuckte zusammen und kniff kurz die Augen zu. Heute Morgen noch hatte ich mir vorgestellt, wie sie in einem eleganten Londoner Stadthaus Kinder unterrichtete. »Ist sie auch an der Grippe gestorben?«
    »Sie ist ertrunken«, erwiderte Anne knapp. »In dem tiefen Teich unter der alten Brücke. Es ist schon ein paar Jahre her.«
    »Ich hatte keine Ahnung.« Anscheinend konnte mich der Tod immer noch überraschen. »Wie ist es passiert?«
    Anne schüttelte den Kopf und blickte zu Boden. »Das weiß niemand. Das Geländer der Brücke ist sehr niedrig, und die Steine sind manchmal glitschig. Vermutlich ist sie ausgerutscht und gestürzt. Obwohl es Gerede gab …« Sie verstummte und sah etwas skeptisch aus.
    »Sprechen Sie weiter.«
    »Es gab

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