Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
ist ausgeschlossen.«
»Ich will niemanden in den Schmutz ziehen, wirklich nicht. Schon gar nicht Harry, der sich nicht mehr verteidigen kann. Aber ich habe auch das hier gefunden …«
Nachdem der Kaffee abgeräumt war, schob ich ihr den Keats-Band hinüber. Ich hatte die Seite mit der gepressten Blume aufgeschlagen.
»Lesen Sie zunächst die Verse, die ich markiert habe.«
Bei dieser verführerischen Stimme Klang erhob er sich, / Verzückt, glühend, ein bebender Stern / An des stillen Himmels Saphirblau. / In ihren Traum schmolz er hinein, wie der Duft der Rose / Sich mit Veilchenduft verbindet / In süßer Auflösung.
Anne lächelte. »Ich erinnere mich an die Szene. Wollen Sie mich verlegen machen?«
»Lesen Sie, was am Rand steht. Da. Es ist mir heute Morgen aufgefallen.«
Die Wörter waren mit Bleistift geschrieben und ausradiert worden, doch der Abdruck war noch sichtbar.
Süßer noch als Veilchen.
Anne schob das Buch zu mir zurück.
»Und was sagt uns das?« Es klang nicht sonderlich ermutigend, aber ich fuhr dennoch fort.
»Schwer zu sagen, aber das ist nicht Reggies Handschrift. Es könnte die von Harry sein.«
»Möglicherweise. Aber es könnte auch jede andere Handschrift sein, sogar Julias.«
Ich schaute noch einmal hin. »Sie stammt gewiss von einem Mann.«
Anne zuckte mit den Schultern. Sie wirkte etwas lustlos, als würden wir uns mit einem albernen Spiel abgeben. »Sie könnte von jedem lüsternen alten Colonel stammen, der sich irgendwann in den letzten fünfzig Jahren nach dem Abendessen entspannen wollte. Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit andeuten wollen.«
Ich war entmutigt. Zweifelte plötzlich.
»Es steht auf der Seite, wo die Blume gelegen hat. Ein Liebhaber könnte es hineingeschrieben haben, während sie draußen auf den Wiesen spazieren gingen. Als verspieltes Kompliment.«
Doch Anne war still geworden, und ich spürte, dass ich mit meinem Detektivspiel eine unsichtbare Grenze überschritten hatte. Immerhin ging es um echte Menschen, echtes Leid. Sie hatte recht, es war kein Spiel.
Als wir nach Hannesford zurückfuhren, hatte sich unser Schweigen verändert, und als ich Anne am Pfarrhaus absetzte, bat sie mich nicht hinein. Ich verließ das Dorf und wünschte mir mehr als alles andere, dass Freddie Masters nie ein Wort über den Professor und seinen Brief verloren hätte.
M ein heller, optimistischer Morgen hatte sich in einen düsteren Nachmittag verwandelt.
Ich sah Tom gehen und schämte mich. Beim Mittagessen war meine gute Stimmung verflogen, und ich war kurz angebunden gewesen. Doch er trug keine Schuld daran. Bis dahin hatte ich die Geschichte mit dem Streit auf der Brücke ebenso verstörend gefunden wie Tom. An diesem Tag aber wollte ich nicht darüber sprechen. Nicht mit ihm. In Erinnerungen zu wühlen, Geheimnisse aus dem Schatten zu zerren … Obwohl es im George hell und belebt war, hatte ich mich kalt und verängstigt gefühlt. Die Vergangenheit konnte ein ungemütlicher Ort sein. In ihr lagen Dinge begraben, an die man besser nicht rührte.
Und doch hatte Tom mit diesem Samstag vielleicht recht, dem langen, heißen Nachmittag, an dem die anderen weggefahren waren … Ich erinnerte mich sehr gut, auch wenn ich es nicht zugegeben hatte. Im Haus war es ganz still gewesen, und der Park lag noch in der Sonne. Konnte ein Tag wie dieser tatsächlich eine so schmutzige und verachtenswerte Tat in sich bergen? Hatten die Hitze und der Dunst und das Gurren der Holztauben uns alle derart geblendet? Kaum zu glauben. Es fiel mir ohnehin schwer, mir inmitten jener mittsommerlichen Vollkommenheit etwas Schäbiges oder Geschmackloses vorzustellen.
Ich wusste noch, wie ich an jenem Nachmittag an meinem Schlafzimmerfenster gestanden und von weit oben über die verlassenen Rasenflächen geschaut hatte. Im Garten unten ging kein Lufthauch, aber hier oben spürte ich eine ganz leise Brise auf der Haut. Was hatte ich gesehen, als ich hinausschaute? Eine vom Sonnenlicht gebleichte Landschaft, dichteBäume, die tiefe Schatten warfen. Nichts davon hätte Tom geholfen, seine Antworten zu finden. Doch ich hatte gar nicht richtig hingeschaut. Meine Gedanken galten nur dem Zimmer hinter mir: der stickigen Hitze; dem stechend weißen Licht, das durch die offenen Läden fiel; der lauernden, fragenden Dunkelheit dahinter. An jenem Tag war ich von wilden Gefühlen durchdrungen, die mich gleichzeitig erregten und ängstigten. Ich hatte einen Sturm heraufbeschworen und würde
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