Wiedersehen mit Mrs. Oliver
aber sie haben kein Recht, ihn zu benutzen. Außerdem sind die meisten der jungen Leute Ausländer und verstehen einen nicht – antworten in irgendeinem unverständlichen Kauderwelsch.«
»Eins dieser beiden Mädchen ist, glaube ich, eine Deutsche, das andere eine Italienerin. Die Italienerin habe ich gestern auf dem Weg vom Bahnhof kennen gelernt.«
»Ja, ja – sprechen alle Sprachen … Ja, Hattie? Was hast du gesagt?« Er ging zurück ins Zimmer.
Poirot wandte sich zum Gehen und begegnete Mrs Oliver und einem gut entwickelten, etwa vierzehnjährigen Mädchen in einer Pfadfinderinnenuniform.
»Das ist Marlene«, stellte Mrs Oliver vor.
Poirot verbeugte sich höflich. Marlene schnüffelte.
»Sie ist das Opfer«, erklärte Mrs Oliver.
Marlene kicherte.
»Ich bin der verstümmelte Leichnam, aber ohne Blutspuren«, sagte sie in enttäuschtem Ton.
»Keine Blutspuren?«
»Nein, ich soll einfach mit einem Strick erwürgt werden, das ist alles. Ich wünschte, ich würde erstochen – dann könnte ich mich überall mit roter Farbe beschmieren.«
»Captain Warburton hielt das für etwas zu realistisch«, erläuterte Mrs Oliver.
»Bei einem richtigen Mord muss Blut fließen«, meinte Marlene störrisch. Sie sah Poirot mit unverhohlener Neugier an.
»Sie haben wohl schon viele Mörder gesehen? Mrs Oliver hat mir von Ihnen erzählt.«
»Einen oder zwei«, gab Poirot bescheiden zu.
Er stellte entsetzt fest, dass Mrs Oliver weggegangen war.
»Auch Sittlichkeitsverbrecher?« fragte Marlene begierig.
»Nein.«
»Schade, ich interessiere mich nämlich sehr für Sittlichkeitsverbrecher; ich meine, ich lese gern, was über sie in der Zeitung steht«, erklärte Marlene.
»Wahrscheinlich würde es Ihnen keinen Spaß machen, einem zu begegnen.«
»Weiß ich gar nicht. Wissen Sie was? Ich glaube, hier in der Gegend ist ein Sittlichkeitsverbrecher. Mein Großvater hat einmal im Wald eine Leiche gefunden; da bekam er’s mit der Angst zu tun und rannte fort, und als er zurückkam, war die Leiche nicht mehr da – es war eine Frauenleiche. Aber mein Großvater ist ein bisschen verrückt, und deshalb hört ihm niemand zu.«
Es gelang Poirot zu entfliehen und auf Umwegen wieder zum Haus zu gelangen. Er verzog sich sofort auf sein Zimmer, weil er das dringende Bedürfnis hatte, etwas zu ruhen.
8
D as Mittagessen, das aus einem kalten Buffet bestand, wurde schnell verzehrt, denn um halb drei sollte eine junge Filmschauspielerin das Gartenfest eröffnen. Das Wetter, das bis dahin sehr nach Regen ausgesehen hatte, wurde besser, und um drei Uhr war das Fest in vollem Gang. Eine ganze Menge Leute bezahlte den Eintrittspreis von zwei Shilling, und auf einer Seite des Auffahrtsweges parkte eine lange Reihe von Autos. Auch aus der Jugendherberge kamen größere Gruppen junger Leute, die sich laut in fremden Sprachen unterhielten. Lady Stubbs erschien, wie Mrs Masterton vorausgesagt hatte, kurz vor halb drei auf der Bildfläche. Sie trug ein violettes Seidenkleid, einen riesigen schwarzen Kulihut und war mit Brillanten übersät.
»Sie glaubt wohl, in der königlichen Loge in Ascot zu sein«, murmelte Miss Brewis spöttisch.
Aber Poirot machte ihr mit ernsthafter Miene Komplimente.
»Eine hochelegante Toilette, Madame«, bemerkte er.
»Freut mich, dass sie Ihnen gefällt. Ich habe dasselbe Kleid beim Rennen in Ascot getragen«, erwiderte Hattie strahlend.
Jetzt erschien die junge Filmschauspielerin, und Hattie ging auf sie zu, um sie zu begrüßen.
Poirot verzog sich diskret und wanderte durch den Garten. Das Fest schien einen ganz normalen Verlauf zu nehmen. Sir George, der die Kokosnussbude übernommen hatte, war freundlich und leutselig. Außer der Kokosbude gab es eine Kegelbahn, eine Würfelbude und verschiedene Verkaufsstände, wo man Obst, Gemüse, Marmelade, Gebäck, allerlei Nippsachen und Galanteriewaren erstehen konnte. Größere Kuchen, Fruchtkörbe und sogar ein Spanferkel wurden versteigert, und für die Kinder gab es »Topfschlagen«.
Inzwischen hatte sich eine ansehnliche Menge eingefunden, und man begann mit den Tanzvorführungen der Kinder. Poirot konnte Mrs Oliver nirgends entdecken, aber das violette Seidenkleid von Lady Stubbs tauchte hier und dort in der Menge auf. Im Mittelpunkt der Ereignisse jedoch schien Mrs Folliat zu stehen. In einem lichtblauen Foulardkleid und einem eleganten grauen Hut sah sie völlig verändert aus; man hatte den Eindruck, dass sie alles organisierte, den Leuten den Weg
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