Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Wohl schon heute Nacht.«
»Und das Mädchen?«
»Castilla wird uns sicher zu ihr führen, und dann können wir auch sie gefangen nehmen.«
»Lasst das Savelda übernehmen.«
»Aber …«
»Das wird ihn beschäftigen. Und wir haben dann mehr Zeit, uns um die Vorbereitung der Einweihungszeremonie zu kümmern. Wenn das geschehen ist, wird es endlich eine französische Loge der Schwarzen Kralle geben, und auch unsere spanischen Brüder, so eifersüchtig sie auch über ihre Vormachtstellung wachen mögen, können dann nichts mehr dagegen tun.«
»Dann werdet Ihr in den Rang einer Meisterin erhoben.«
»Und Ihr werdet mein Erster Eingeweihter … Aber freuen wir uns nicht zu früh. Schon so viele vor uns sind gescheitert.
Zu früh waren sie von ihrem Erfolg überzeugt und haben darüber die Gefahr verkannt. Aber ich werde alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
Im hintersten Winkel des Gartens befand sich eine steinerne Bank. Dort nahm die Vicomtesse Platz und bedeutete Gagnière, es ihr gleichzutun.
»Da wäre noch eine Sache«, flüsterte sie,«die unsere Meister und Savelda nicht wissen dürfen: Gestern ist einer unserer Spione im Kardinalspalais aufgeflogen.«
»Wer?«
»Der Beste. Der Erfahrenste. Der Wertvollste.«
»Laincourt!«
»Ja, Laincourt … Ich begreife noch immer nicht, wie das geschehen konnte, aber leider hat es sich so erwiesen. Laincourt ist enttarnt. Er wurde festgenommen und wird sicher bald verhört werden.«
»Wo wird er festgehalten?«
»Im Châtelet .«
»Laincourt wird nicht reden.«
»Das wird sich zeigen. Aber vielleicht ist es besser, wenn Ihr sein Schweigen sicherstellt.«
6
Eine Nacht war vergangen, seit Leutnant Laincourt wegen Verrats verhaftet und ihm Mantel und Degen abgenommen worden war. Daraufhin war der Gefangene unter Aufsicht einer vielköpfigen Eskorte unverzüglich ins Châtelet gebracht worden. Dort hatte man ihm die letzten persönlichen Sachen
abgenommen und ihn schließlich in ein Verlies gesperrt, das so finster war wie ein Grab.
Es war, als würde er nicht mehr existieren.
1130 hatte Ludwig VI. eine kleine Festung mit dem Namen Petit Châtelet errichten lassen, die die angrenzende Brücke, die Pont au Change , am rechten Seineufer schützen sollte. Nachdem Philip August jedoch das Grand Châtelet auf der anderen Flussseite hatte bauen lassen, war das kleinere Kastell überflüssig geworden und hatte seine militärische Bedeutung verloren.
Im 17. Jahrhundert war es dann zum Sitz der Gerichtsbarkeit der Feldgendarmerie geworden, während sein Turm auf mehreren Ebenen als Gefängnis diente. Im oberen Teil gab es Gemeinschaftszellen, in die die Gefangenen gepfercht wurden. Darunter lagen mehrere Einzelkerker, und ganz unten im Keller waren schreckliche Verliese, in die weder frische Luft noch Licht drang.
In einem dieser dunklen Kellerlöcher saß auf verfaultem Stroh voll Ungeziefer Laincourt. Wenigstens hatte man ihm die Grube erspart, einen Brunnenschacht, in den der Gefangene durch eine Falltür an einem Seil hinabgelassen wurde. Am Boden dieses abscheulichen Verlieses stand brackiges Wasser. Außerdem war es so konstruiert, dass man sich weder hinsetzen noch hinlegen und nicht einmal richtig anlehnen konnte.
Seit die Tür hinter Laincourt ins Schloss gefallen war, waren die Stunden nur zähflüssig und in absoluter Finsternis verstrichen. Ab und zu drang das Echo ferner Schreie zu ihm herunter, die Gefangene, verrückt vor Einsamkeit oder unter Folter, ausstießen. Ansonsten gab es nur das Geräusch von Wasser, das in diesem feuchten Verlies Tropfen für Tropfen in
Pfützen aus Brackwasser fiel, und das Rascheln von Ratten, die über die modrigen Steine huschten.
Doch plötzlich, gegen Morgen, wurde der Schlüssel im Schloss umgedreht, und ein Mann mit schon leicht ergrautem Schnurrbart und einer Laterne in der Hand trat ein.
Laincourt erhob sich, blinzelte und erkannte Brussand.
»Ihr dürftet nicht hier sein, Brussand. Mein Aufenthaltsort ist streng geheim.«
»Da, nehmt«, erwiderte der und hielt ihm eine Flasche Wein und ein Stück Brot hin.
Der frühere Gardeleutnant nahm die mitgebrachten Köstlichkeiten dankbar entgegen. Hungrig biss er in das Brot, zwang sich dann aber doch, langsam zu kauen.
Nachdem er auch einen Schluck Wein getrunken hatte, fragte er: »Wie habt Ihr es nur geschafft, bis hierher durchzudringen?«
»Der Kerkermeister war mir einen Gefallen schuldig.«
»War er dem Euren gleichwertig?«
»Nein.«
»Dann seid
Weitere Kostenlose Bücher