Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
Spanien wird uns sicher nicht mehr darüber verraten. Angenommen, er lebt überhaupt noch. Angenommen, er hält sich irgendwo versteckt oder wird gefangen gehalten. Dann bleiben immer noch um die 500 000 Seelen in Paris. Darunter einen Einzelnen, sei er auch Spanier, zu finden, ist sicher keine einfache Aufgabe.«
»Wir haben eine Spur«, verkündete La Fargue. »Es ist zwar keine heiße Spur, aber immerhin.«
»Worum handelt es sich?«, erkundigte sich Agnès.
»Irebàn ist nicht allein nach Paris gekommen. Er ist mit einem Gefährten unterwegs. Ein junger, wohlhabender Adliger, ebenfalls Spanier. Bisweilen ein abenteuerlustiger Duellant und Kenner des Pariser Nachtlebens. Der Mann nennt sich Castilla. Bei ihm werden wir ansetzen. Almadès und Leprat, ihr beide werdet mich begleiten.«
Die Angesprochenen nickten.
»Marciac, du bleibst hier und erstellst zusammen mit Guibot eine Liste der Dinge, die wir noch brauchen. Aber von heute Abend an ziehst du dann durch die Cabarets und die Spielhöhlen, in denen sich Irebàn und Castilla herumtreiben könnten.«
»Verstanden. Aber davon gibt es viele in Paris.«
»Du wirst das schon machen.«
»Und was ist mit mir?«, fragte die Baronin von Vaudreuil.
La Fargue hielt kurz inne. »Du, Agnès, hast einen Besuch abzustatten.«
Sie verstand und wechselte einen Blick mit Ballardieu.
Etwas später gesellte sich La Fargue zu Leprat, der gerade dabei war, im Stall die Pferde zu satteln.
»Ich weiß, was dich das kostet, Leprat. Für uns andere ist
die Rückkehr zu den Klingen eine glückliche Fügung. Aber für dich …«
»Was soll mit mir sein?«
»Deine Laufbahn bei den Musketieren ist bereits vorgezeichnet. Nichts zwingt dich, sie aufzugeben, und wenn du meine Meinung dazu hören willst …« Der Hauptmann vollendete den Satz nicht.
Leprat lächelte bewegt und dachte an das, was Monsieur de Tréville ihm gesagt hatte, als er ihm den neuen Befehl erteilt hatte: »Ihr seid einer meiner besten Musketiere. Ich verliere Euch nur ungern, und wenn Ihr darauf bestehen solltet, den Mantel weiterhin zu tragen, würde ich mich für Euch einsetzen. Ich würde beim König und beim Kardinal dafür eintreten, dass Ihr hier nicht abkömmlich seid. Und das entsprä che nur der Wahrheit. Ihr könnt bleiben. Ihr braucht es nur zu sagen.«
Doch Leprat hatte geschwiegen.
»Auch bei mir erweckt diese Mission nicht gerade Vertrauen«, bekräftigte La Fargue seinen Standpunkt. »Spanien spielt nicht mit offenen Karten. Ich fürchte, es will uns nur für seine eigenen Zwecke benutzen, und vielleicht sogar auf Kosten Frankreichs … Wir gewinnen in dieser Sache nichts, aber du hast viel zu verlieren.«
Das frühere Mitglied der Musketiere hatte den Sattel nachgegurtet und tätschelte seinem neuen Pferd nun beruhigend die Kruppe. Es war ein schöner rot-brauner Fuchs, ein Geschenk von Monsieur de Tréville. »Kann ich offen sprechen?«, fragte er.
Er duzte den Hauptmann nur, wenn sie unter vier Augen waren.
»Natürlich.«
»Ich bin Soldat. Ich befolge meine Befehle. Und wenn es nicht reicht, Soldat zu sein, bin ich eben eine Klinge.«
11
Ballardieus großes Wiedersehen mit Paris fand erst auf der Pont-Neuf statt. Wenn der große Markt Les Halles der Bauch dieser Stadt war und der Louvre ihr Kopf, dann konnte man auf der Pont-Neuf ihr Herz schlagen hören: Diesen Herzschlag, der vom Leben und Getümmel der Hauptstadt erzählte, und die Bürger durch das dichte Straßengewirr ihrer Adern strömen ließ. Wirklich jeder benutzte diese Brücke. Einerseits aus Bequemlichkeit, denn über die Pont-Neuf konnte man direkt von einem Ufer der Seine zum anderen gelangen, ohne den Umweg über die Île de la Cité mit ihrem verwirrenden Flechtwerk aus Gässchen machen zu müssen. Andererseits zum Vergnügen.
Die Brücke war gegen Ende der Regierungszeit von Henry IV. fertiggestellt worden und sollte eigentlich bebaut werden. So war es damals in den Städten üblich: Jedes noch so kleine Fleckchen musste genutzt werden.
Doch dann hatte man davon abgesehen. Man wollte der königlichen Familie vom Louvre aus nicht den Blick über die Stadt ruinieren. Vom ursprünglichen Vorhaben blieben nur noch die erhöhten Absätze, die links und rechts die Fahrbahn säumten. Diese Absätze wurden schließlich zum ersten Bürgersteig von Paris. Von ihm aus konnte man die Seine bewundern, ohne befürchten zu müssen, von einer Kutsche über den Haufen gefahren zu werden. So begannen die Pariser
bald, das
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