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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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versucht, ihn zu beruhigen.
    »Habt ihr gewusst, dass zwei Drittel aller Lebewesen Insekten sind?«, schnaufte Johanna.
    »Das ist mir klar, dass wir in der Natur sind«, Ludwig ignorierte Johanna, »aber der Käfer war so groß wie eine Turnhalle.«
    Nur im Ludwig’schen Kosmos gab es Käfer, die so groß wie Turnhallen waren. Rosa zog ihn weiter den Weg hoch und warf besorgte Blicke auf Johanna, die ihnen langsam folgte.
    »Um auf die Aschenbecher zurückzukommen«, begann Ludwig erneut, »ist euch aufgefallen, dass in unserer Kirche ungemein viele getrocknete Körperteile herumliegen?«
    Rosa blieb erschrocken stehen. »Ist nicht dein Ernst?«
    »Er meint die Reliquien«, rief Johanna und massierte sich genervt die Nasenwurzel.
    Ludwig warf ihr einen missbilligenden Blick zu. »Wie auch immer; ein Stück Lunge der heiligen Elisabeth, ein Zehennagel der heiligen Veronika. Da liegt ja wohl der Schluss nahe, dass sich Aschenbecher in Organform verkaufen werden wie warme Semmeln.«
    »Ja, die werden sicher der Reißer«, murrte Rosa.
    »Also, ich fände das sehr reizvoll und habe auch schon den Werbeslogan dafür: Mein Herz hast du schon …«
    »… dann nimm auch meine Milz?«, warf Rosa ein, und Johanna begann zu lachen.
    »Ihr habt keinen Sinn für Romantik«, zeterte Ludwig. »Natürlich nicht. ›… nimm auch den Rest‹ schwebte mir vor.« Als Zeichen seines Protestes legte er an Tempo zu.
    »Oder: Wenn auch meine Nieren glosen …«, kuderte Rosa.
    »… meine Leber brennt im Ofen«, keuchte Johanna.
    »Hustend schwör ich ewige Liebe …«
    »… nimm meine gebrannten Knie!«
    Als sie die höchste Stelle des Waldbachsteigs und damit den besten Ausblick auf den weggerutschten Hang erreicht hatten, wartete Ludwig mit erhobenem Haupt und im Wind wehender Haartolle. Er sah ins Tal und würdigte Rosa und Johanna keines Blickes.
    Rosa stemmte die Hände in die Hüften und ließ ihren Blick über die Unglücksstelle gleiten. Hinter ihr ging die Diskussion zwischen Ludwig und Johanna weiter.
    »Den ›Tante Mizzis Vanillekipferl-Club‹ wolltest du mir auch ausreden. Ich möchte gerne wissen, wie man es dir recht machen kann«, schnappte Ludwig beleidigt in ihre Richtung.
    Johannas Gesicht spiegelte vor Anstrengung die interessantesten Rottöne. »Ludwig, mit diesem ganzen ›Tante Mizzis Vanillekipferl-Club‹ ging ein recht aufreibendes Forschungsprojekt über die Wesensart von Tante Mizzi einher. Du hast den halben Ort beleidigt mit deinen indiskreten Fragen, und du wolltest gratis Vorsorgeuntersuchungen anbieten, um alle Tante Mizzis vor dem Vanillekipferl-Zuckertod zu retten.« Johannas Stimme wurde lauter. »Nicht nur Frauen, die Mizzi heißen, backen Vanillekipferl, und ich habe noch nie etwas von einer Vanillekipferl-Zucker-Staublunge gehört!«
    »Der Club war ein unglaublicher Erfolg«, brüllte Ludwig. »Es gibt tausende Tante Mizzis auf dieser Welt. Darf ich dich daran erinnern, dass wir eine Nachbargemeinde im Wuppertal gefunden haben und mit dieser zu Weihnachten das größte Vanillekipferl im deutschen Sprachraum hergestellt haben? In Brunn gab es in den Pensionen und Hotels von Anfang Dezember bis Ende Jänner kein einziges freies Bett mehr. Alle wollten unser gigantisches Vanillekipferl sehen!«
    »Genau«, Johannas Gesichtsfarbe wurde leicht violett, »und Mizzi Laibstarck wäre beinahe gestorben vor lauter Vanillekipferlteigkneten. Und weißt du, wer sie um halb drei Uhr früh ins Spital gebracht hat? Ich! Und ich habe es satt, dir dauernd aus der Patsche zu helfen.«
    Ludwig hob siegessicher den Zeigefinger und meinte grinsend: »Siehst du, wegen der Geschichte mit Mizzi Laibstarck wollte ich, dass im Jahr darauf alle Tante Mizzis diese Vorsorgeuntersuchungen machen.«
    Rosa hörte nur mit einem Ohr zu. Die Mure hatte dem Berg eine riesige Wunde zugefügt. Der östliche, dem Hafen zugewandte Teil des Hangs war vollends verschwunden, hier musste sich das Massengrab befunden haben. In den Nachrichten hatte sie gehört, dass die starken Temperaturschwankungen Ende Mai, Anfang Juni das Schiefergestein brüchig gemacht hatten. Durch den anhaltenden Regen war die Erde abgeschwemmt worden, und dreitausend Quadratmeter Fels und Geröll waren abgegangen.
    »Interessant«, meinte Ludwig, der neben Rosa trat. »Das ist doch …«, er stutzte und reckte den Hals, um besser den kahlen Abhang hinuntersehen zu können, »… sehr eigenartig!«
    Rosa kniff die Augen zusammen und folgte seinem Blick,

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