Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer
segelte ich eines der Boote ganz allein. Meine gute Freundin Kasey Nash kam mit und leistete mir Gesellschaft. Die Strecke war ungefähr vierzig Meilen lang.
Als wir schließlich in Marina del Rey ankamen und die Boote vertäuten, fragte Papa: „Und, wie war’s?“
„Super!“, antwortete ich. „Das war die leichteste Übung. Immerhin bin ich mein ganzes Leben lang mit dir gesegelt!“
Ein Tag auf dem Wasser war für mich genauso normal wie ein Tag an Land.
Am selben Tag überführten Papa und ich noch einmal zwei Boote für eine Bootsausstellung nach Marina del Rey, diesmal von Long Beach aus. Die Strecke ist ungefähr dreißig Meilen länger. Papa segelte mit seiner Slup voraus. Der Himmel hatte sich bewölkt, und dunkle, graue Wolken hingen tief über dem Horizont. Eisige Windböen und eine ruppige Hacksee schlugen uns entgegen. Weiße Gischtfontänen begruben Bug und Baum, und wenn der Schiffsrumpf auf die Wellen krachte, klang es, als würde er gleich auseinanderbrechen.
Als es Abend wurde, stand ich immer noch an der Pinne und steuerte von Hand – insgesamt zwölf Stunden an diesem Tag. Eine anstrengende Knochenarbeit. Ich fühlte mich wie bei einem Marathonlauf. Ich war müde, durchnässt und fror erbärmlich, aber ich war in meinem Element. Es klingt verrückt, aber es war so.
Wenn man auf dem offenen Meer segelt, wird man den Gedanken nicht los, dass jederzeit etwas passieren kann. Und man muss sich der Herausforderung stellen. Das habe ich schon früh von meinem Vater gelernt. An jenem Abend hatte ich die Wahl: Entweder ich fürchtete mich vor den Naturgewalten oder ich schaffte es, Wind und Wellen die Stirn zu bieten.
Später, im sicheren Hafen, ging ich tropfnass und vor Kälte schlotternd von Bord – aber glücklich und stolz, weil ich mich durchgebissen hatte. Meine Eltern sagen immer, es kommt nicht nur darauf an,
dass
man schwierige Situationen meistert, sondern
wie
man sie meistert. Das, sagen sie, formt den Charakter eines Menschen. Ich glaube, ich hatte die Situation auf meine Weise gemeistert. Und ich war ein kleines bisschen stolz.
Die Slup, die Laurence Sunderland segelte, war mit allem möglichen Luxus ausgestattet, wie etwa einem großen Plexiglas-Vordach als Wetterschutz. Laurence stand im Cockpit, gegen das schlimmste Wetter geschützt, und dachte mit Sorge an seine Tochter. Er wusste, dass Abby sich auf ihrem Boot mit aller Kraft gegen den Wind stemmen und mit beiden Händen das Steuerrad umklammern musste. Seit dreißig Meilen stand sie ununterbrochen am Ruder und steuerte durch schwere See und peitschenden Regen, Wind und Wellen voll ausgesetzt. In seinem Kielwasser sah er die Mastleuchte ihres Bootes hin und her tanzen, das gnadenlos von Dollbord zu Dollbord geschleudert wurde. Als Vater hatte er Angst um seine Tochter und dachte gleichzeitig voller Stolz:
Ja, sie schafft es tatsächlich. Sie kämpft sich durch
.
Segeln bei solchem Wetter trennt normalerweise die Spreu vom Weizen. Manch einer, der behauptet hatte, ein gestandener Seemann zu sein, entpuppte sich dabei als Schönwetter-Segler mit der Einstellung: Segeln macht Spaß, aber nur so lange, wie das Wetter mitspielt und ich Gefahren wie Kentern oder über Bord gehen ausschließen kann.
Laurence dachte:
Nach diesem Trip wird sie wahrscheinlich von ihrer Idee, um die Welt zu segeln, geheilt sein
.
Nach einer solchen Erfahrung machen die meisten Segler ihr Boot an der Mole fest und sagen: „Nie wieder!“
Nicht so Abby. Im Hafen zurrte sie ihr Boot ein paar Minuten nach Laurence fest, warf ihm ein Tau zu und kletterte auf den Steg. Sie war erschöpft und bis auf die Knochen durchnässt, doch ihre Augen leuchteten. Laurence staunte nicht schlecht. Da war seine Tochter, noch keine vierzehn Jahre alt, wie sie nach diesem Horrortrip bei eiskalter, stürmischer See ihren Fuß an Land setzte – und sie strahlte ihn an. In dem Moment dachte er zum ersten Mal, dass sie vielleicht wirklich das Zeug zur Weltumseglerin hatte.
Natürlich wusste er, dass noch viel mehr dazu gehört: sehr gute Navigationskenntnisse, Durchhaltevermögen und die Gabe, sich bei Schwierigkeiten nicht aus der Ruhe bringen zu lassen – und nicht zuletzt technisches Know-how. Doch das war nicht alles. Für Laurence gab es noch einen weiteren, ganz wichtigen Aspekt: sein Glaube und sein Vertrauen zu Gott, der ihn noch nie im Stich gelassen hatte. Menschen auf See sind manchmal Extremsituationen ausgesetzt, in denen Gott die einzige Hilfe und
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