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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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sind Benni und ich zu ihr gekommen und du bist jetzt ihr drittes Kind.«
    »Wie kann ich ihr Kind sein? Das ist doch absurd.«
    »Du bist ihre Tochter. Sie hat sich ja schon wie eine Löwin für dich eingesetzt.« Jeska spritzte mit beiden Händen ins Wasser, aber der Zauber der Unbeschwertheit war vorüber. »Ricarda ist eine gute Mutter, du hättest es schlechter treffen können. Mit drei Kindern hat sie das Recht auf einen guten Mann, aber im Moment ist keiner übrig.«
    Ihre Sätze rauschten an mir vorbei, während ich noch versuchte, den Sinn zu erfassen. »Was ist mit Orion?«, platzte ich schließlich heraus. »Gabriel hat gesagt, wir würden nicht getrennt werden.« Dumpf erinnerte ich mich an den gestrigen Abend, an den fremden Ausdruck in seinem Gesicht, an den stöhnenden Alfred in seinen Armen. Es kam mir vor, als hätte ich das alles nur geträumt.
    »Keine Ahnung«, sagte Jeska bloß. »Aber wir müssen jetzt aus dem Wasser.«
    Ricarda erwartete uns mit Stofffetzen, die wohl Handtücher sein sollten, aber so hart und rau waren, dass man sich die ganze Haut aufscheuerte. Außerdem hatte sie Ersatzkleider für mich mitgebracht, die, welche Überraschung, grünbraun waren. Sie schwieg, während sie eine Decke vor uns hielt, hinter der wir uns abtrocknen und umziehen konnten, und ich schwieg ebenfalls, nur Jeska plapperte unentwegt irgendwelches Zeug. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass das niemanden interessierte, aber Ricarda lächelte liebevoll, und da verkniff ich mir jede abfällige Bemerkung. Ich hatte nie eine Schwester gehabt, mit der ich das Streiten hätte üben können. Moon zählte nicht. Mit ihr hatte ich mich nie gestritten, sie hatte mir einfach immer gesagt, wo es langging, und ich hatte gehorcht. War ich wirklich so eine Belastung für sie gewesen? Ihre vernichtenden letzten Worte wirkten immer noch nach.
    »Wir müssen dich unbedingt kämmen, Pia«, sagte Ricarda. »Du hast schöne Haare, so fein und weich. Was für eine charmante Farbe.«
    »Paulus stirbt bestimmt schon vor Ungeduld«, meinte Jeska fröhlich.
    »Das riskieren wir. Ich werde Pia trotzdem erst vorzeigbar machen. Er soll sie als meine Tochter befragen, nicht als Flüchtling ohne Familie.«
    »Sie sind nicht meine Mutter. Und das kann ich alleine.« Ich nahm ihr den groben Kamm aus der Hand, denn ich wollte nicht, dass sie mich anfasste. Sie war nicht meine Mutter, auch wenn sie so tat, als ob. »Gut«, sagte sie, ohne im Mindesten enttäuscht oder traurig zu klingen. »Ich warte dann auf dich.«
    Während Jeska sich einen Zopf aus ihren langen Haaren flocht, brachte ich meine nassen Strähnen in Ordnung. »Was sollte denn das?«
    »Ich bin nicht ihre Tochter.«
    »Doch, bist du. Jetzt schon. Aber es ist normal, dass Teenager mit ihren Eltern streiten. Sie hat mich; sie ist daran gewöhnt.« Jeska nahm mir den Kamm aus der Hand. »Wie willst du das denn ohne Spiegel machen? So. Du bist total hübsch, weißt du das?«
    »Meine Haare sind wie aus Erdnussbutter.«
    Sie betrachtete mich eingehend. »Nein. Es ist die Farbe der Hirsche. Wenn sie auf einer Lichtung stehen und die Sonne auf ihrem Fell glänzt. Oder«, sie kniff mir in die Nase, »wie ein Goldhamster.« Bevor ich mich rächen konnte, sprang sie schon davon.

22.
    Mein Herz klopfte schneller, während wir durch den Wald gingen. Das Lager war lange nicht so gut getarnt wie das erste, in das Helm uns gebracht hatte, aber die Leute waren dabei, das nachzuholen. Sie breiteten Netze über die Zelte, sägten dichtbelaubte Äste ab und platzierten sie geschickt in die Bäume. Sogar die Kinder halfen mit, ganze Arme voller Blätter und Grasbüschel schleppten sie an. Wo ich vorüberging, folgten mir unzählige Blicke, aber niemand sprach mich an, was vielleicht an Ricardas grimmigem Gesicht lag. »Hier ist es«, sagte sie vor einem niedrigen, langgestreckten Zelt, das ich gar nicht bemerkt hatte. Kunstvoll unter Netzen und Blättern versteckt, verschmolz es mit dem Wald.
    »Hier?«, fragte ich bang.
    Plötzlich wurde Ricardas Miene weich, sie legte die Hand auf meinem Arm und lächelte mir zu. »Ich bleibe bei dir. Keine Sorge, wir stehen das durch.«
    »Das musst du nicht«, sagte ich.
    Erst durch ihr feines Lächeln fiel mir mein Fehler auf: Unabsichtlich hatte ich wieder das vertrauliche Du benutzt.
    Aber ich hatte eine Mutter, und nichts und niemand würde mich dazu bringen, das zu vergessen. Vera Friedrichs stand in Neustadt vor ihrer Staffelei und malte. Sie tauchte

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