Wild und frei
und blieb bewegungslos stehen, den Blick starr auf die Bäume gerichtet, während der Wilde dem Mann die Kleidung und die schweren Arbeitsstiefel auszog. Weder sie noch der Wilde sagte etwas, aber einmal hörte sie hinter sich einen Laut von ihm – ein leises Prusten mit einem Hauch versteckter Ironie.
Sie hätte schwören können, dass es Lachen war.
8. KAPITEL
Black Otter verachtete die Kleidung des weißen Mannes. Das Gewebe war grob und kratzig, und von Kopf bis Fuß umhüllt zu sein war zu warm und beengend für jemand, der es gewohnt war, den Wind auf seiner Haut zu spüren. Der grobe Stoff ließ ihn voller Sehnsucht an ein geschmeidiges Hirschledergewand denken, mit Asche gegerbt und über einem Hickoryfeuer geräuchert, bis es so weich wie Babyhaut war. Kein Wunder, dass die Weißen so griesgrämig waren!
Abgesehen davon, dass man sich darin unbehaglich fühlte, das Schlimmste an dieser fremden Kleidung war ihr übler Geruch. Jedes Mal, wenn er Luft holte, war diese Mischung aus Schweiß und Urin, zusammen mit einem süßlichen Geruch wie von verfaultem Mais, eine Zumutung für seine Sinne. Die Weißen besaßen so viel Wissen und so viele Wunder. Warum mussten sie dann so unsauber sein?
Rowena ging neben ihm und warf ihm unter ihren goldbraunen Wimpern verstohlene Seitenblicke zu. Sie schien ihn beinahe zu bewundern. Gefiel es ihr, dass er nun eher wie einer der Ihren aussah? Black Otter war gereizt und ließ den Gedanken schnell wieder fallen. Es war klug von ihr gewesen, ihn dazu zu drängen, sich wie ein Weißer zu kleiden. Ihm war klar, dass er so besser geschützt war. Aber die Verwandlung seiner Erscheinung kam ihm wie ein Verrat an seinem Volk und seiner Aufgabe vor. Er wehrte sich gegen den Wunsch, sich dieses verhasste Zeug vom Leibe zu reißen.
Sie hatten das Tal durchquert und waren jetzt im Moor. Rowenas kastanienbraunes Haar wehte im Wind, und die Morgensonne brachte es zum Leuchten. Diesmal hatte sie nichts dagegen gesagt, als er sich dem Getöse der Brandung zuwandte. Es war fast, als ob er mit dem Tragen der Kleidung der Weißen ihre Zustimmung erlangt hätte hinzugehen, wohin er wollte. Vielleicht war er in ihren Augen nun “gezähmt” wie die Wolfshunde, die um sein eigenes Dorf herumlungerten und knurrend auf Essensreste warteten. Die Vorstellung gefiel ihm gar nicht.
Sie hatte kaum etwas gesagt, seit sie den nackten weißen Mann schnarchend im Dickicht zurückgelassen hatten. Eigenartigerweise vermisste er den Klang ihrer Stimme. Er hatte zwar nur wenig von dem verstanden, was sie sagte, aber ihre Eindringlichkeit, ihre Leidenschaft berührten ihn auf eine Weise, die er nicht erwartet hatte. Das Schweigen stand jetzt wie eine Wand zwischen ihnen, und nur die Schreie der Seevögel waren zu hören und das Rauschen der Wellen unterhalb der Klippen.
Ihre flüchtige Begegnung im Tal kam ihm wieder in den Sinn. Er spürte ein Ziehen in den Lenden, als er an ihre langen, schlanken Beine dachte und an ihre Haut, die sich so zart wie ein Schmetterlingsflügel angefühlt hatte. Ihr Körper war für ihn bereit gewesen, das wusste er. Aber leider war sein Herz noch nicht für sie bereit.
Das Bedauern quälte ihn jetzt. Tat es ihm leid, dass er zu weit gegangen war oder dass er zu früh aufgehört hatte? Black Otter wusste es nicht. Aber warum sollte das wichtig sein? Nichts war von Bedeutung, außer zurück zum Meer zu gehen und einen Weg nach Hause zu finden.
Wie würde er über das große Wasser gelangen? Vielleicht könnte er sich an Bord eines der großen, geflügelten Kanus schleichen, ähnlich dem, das ihn hierher gebracht hatte. Oder, falls er genug Zeit hätte, könnte er einen großen geraden Baum fällen, das Innere ausbrennen und sein eigenes Kanu bauen. Die Überfahrt wäre lang und gefahrvoll in solch einem kleinen Boot, aber die Kraft seines Herzens und seiner Seele würden ihm weiterhelfen. Nichts durfte sich ihm in den Weg stellen – nicht einmal die große, entschlossene weiße Frau, die neben ihm ging.
Unmittelbar vor ihnen stieg das grasbewachsene Moor an, bevor es steil zum Meer abfiel. Black Otters Puls raste, als er losrannte und dem Geräusch der Brandung folgte. Rowena fiel es nicht leicht, Schritt mit ihm zu halten, sie raffte ihre Röcke und keuchte vor Anstrengung, als ob sie fürchtete, er würde vor ihr dort ankommen, sich von den Klippen stürzen und im Meer ertrinken.
Das Land endete plötzlich in einem Steilhang. Black Otter blieb am Rande des Abhangs
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